Dramaturgin Carolin Müller-Dohle erklärt, was eine hundert Jahre alte Oper mit der Klimakrise zu tun hat

Die Apokalypse sind wir

ANTIKRIST war die erste Neuproduktion, die wir im Corona-Lockdown stoppen mussten. Anderthalb Jahre später ist die Weltuntergangs-Oper aktueller denn je. Und das ist keine gute Nachricht

Plötzlich war das Ende nicht nah, es war da. »Welt in Krämpfen: Blutige Lügen: Totenreich-Glocken: Untergangs-Spiel« heißt es im dritten Bild von Rued Langgaards Oper ANTIKRIST, die in einer Art irdischer Endzeit spielt. Etwas mehr als vier Wochen probten Regisseur Ersan Mondtag und Dirigent Stephan Zilias mit den Sänger*innen und dem Orchester dieses außergewöhnliche Werk, dann brach die Pandemie ins Theater selbst ein. Am 12. März 2020, kurz vor der Klavierhauptprobe, musste die Arbeit eingestellt werden, der erste Lockdown wurde verhängt, Künstler*innen und Mitarbeitende der Deutschen Oper Berlin reisten ab oder gingen ins Homeoffice. Ausgerechnet die vom Weltuntergang kündende Oper war die erste Neuproduktion, die von der Pandemie gestoppt und ihretwegen verschoben werden musste.

Langgaard bezeichnete sein Werk als »Kirchenoper«, der symbolistische, assoziationsreiche Text basiert auf dem letzten Buch des neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes: Katastrophen, Seuchen und Hungersnöte leiten den Untergang der Welt ein und münden im letzten Gericht Gottes über alle Menschen.

Zeitgenossen konnten mit Langgaards Sujet, wohl auch mit der überbordenden, exzentrischen Musik wenig anfangen. Zwei Mal wurde ANTIKRIST von der von der Königlichen Oper in Kopenhagen abgelehnt. Einmal nach Vollendung, Anfang der 1920er Jahre. Ein zweites Mal 1930, nachdem er die Oper komplett überarbeitet hatte. Dabei hatte Langgaards Karriere hoffnungsvoll begonnen, seine erste Sinfonie wurde 1913 von den Berliner Symphonikern aufgeführt. Dann kam der Erste Weltkrieg und Langgaard, dessen Musik immer avantgardistischer wurde, fand keinen Platz in seiner Zeit. 1968 geraten seine Partituren zufällig in die Hände von György Ligeti – und der große Komponist setzt sich ein für die Aufführung der Werke des Skandinaviers, ein regelrechtes Langgaard-Revival nimmt seinen Anfang. Als die Oper 1999 in Innsbruck uraufgeführt wird, ist Langgaard schon ein halbes Jahrhundert verstorben, zuletzt hatte er als Kirchenmusiker gearbeitet im Westen Dänemarks.

Als Wunderkind gestartet, von Zeitgenossen verachtet, durch György Ligeti neu entdeckt: Der dänische Komponist Rued Langgaard [1893 – 1952] © The Royal Library Copenhagen
 

Langgaards Oper atmet den Geist des Fin de Siècle, voller Pessimismus warnt sie vor dem Untergang, prangert die Laster der Moderne an: Eigennutz, Hochmut, Frivolität. Aber Langaard ist auch Optimist, er glaubt an die transformativen, transzendierenden Kräfte der Kunst. Seiner tiefen Überzeugung nach war die Musik fähig, Kontakt zum Göttlichen herzustellen– und so manifestiert sich im großen Schlusschor von ANTIKRIST die ersehnte Erlösung der Welt von allem Leid und allem Bösen.

Und heute? Stecken wir mittendrin, in der Endzeit. Feuersbrünste am Mittelmeer, die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW, der Weltuntergang ist keine Fiktion, er ist ein reales Szenario. Werden die CO2-Emissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht drastisch reduziert, droht die Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 um bis zu vier Grad über den vorindustriellen Durchschnitt zu steigen. Die Folgen zeichnen sich weltweit seit Jahren ab, nun auch vor unserer eigenen Haustür.

Wer sich die Apokalypse vorstellen kann, sei im Vorteil, sagt Historiker Johannes Fried in seinem Buch »Dies irae: Eine Geschichte des Weltuntergangs«. Die Apokalypse mache produktiv, so Fried, aus ihrem Geist seien schon die modernen Wissenschaften entstanden. In keinem wie dem christlichen Kulturkreis gibt es eine so definitive Vorstellung vom Weltende. Auch ohne Gott- und Teufelsglaube: Die Vorstellung der Apokalypse prägt weiterhin unser Denken, Planen und Handeln. Insofern steckt in der Endzeit auch der Anfang: Nähern wir uns nun der Einsicht, die zum ökologischen Neubeginn führt? Auch Langgaard hat Hoffnung eingeflochten in seinen ANTIKRIST; eine Mahnung, jetzt zu handeln, wenn wir den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen. Dieser Gedanke macht diese Oper aktueller und relevanter denn je. Höchste Zeit, dass sie nun endlich zur Aufführung kommt!

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