„Einfach laufen lassen!“ - Deutsche Oper Berlin
„Einfach laufen lassen!“
Patrizia Ciofi über Dramatik und Natur, kühle Stimmen aus Italien und ihre Schwäche für Süßigkeiten
Patrizia Ciofi, geboren 1967 in Casole d’Elsa in der Toskana, gilt als eine der führenden Koloratur- und Belcanto-Soprane des italienischen Repertoires. Innerhalb des Meyerbeer-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin sang sie bereits die Titelrolle in „Dinorah“. Nach einem Gastspiel als Traviata folgt ab November die Marguerite de Valois in der Neuproduktion „Die Hugenotten“ (Regie: David Alden). Kai Luehrs-Kaiser sprach mit ihr in Paris.

Frau Ciofi, Sie singen ein reichhaltiges Repertoire von Mozart über Verdi bis Meyerbeer. Tut man Ihnen Unrecht, wenn man Sie dennoch als echte Belcanto-Sängerin bezeichnet?
Durchaus nicht! Das würde mich sogar sehr froh machen. Ich sehe mich in erster Linie als Belcanto-Sängerin. Belcanto umfasst ja nicht so sehr eine Stilrichtung, als vielmehr eine Gesangstechnik. Mit der ist man für ganz unterschiedliches Repertoire gerüstet.
Welche Gesangstechnik bezeichnet der Ausdruck Belcanto?
Eben jene Phrasierungen, Farben, Dynamik und derlei Dinge zu benutzen, wie sie in dieser Technik gepflegt werden. Besonders wichtig ist das Legato.
Die Besonderheit Ihres Gesangs besteht darin, Dramatik und Kunstfertigkeit miteinander zu verbinden – ohne jedes veristische Überziehen der Emotionen. Ist das Ihr Ziel?
Eigentlich nicht. Das kommt ganz natürlich. Ich bin von Natur aus dramatisch. Aber nicht zu sehr! Am wichtigsten ist es, nicht zu überzeichnen. Bloß, wissen Sie, das ergibt sich doch ganz von selbst – aus Liebe zum Theater. Man muss ein bisschen von sich selbst preisgeben. Das gelingt am besten, wenn man auf der Bühne steht und vergisst, dass man eigentlich ein Darsteller ist. Man muss einen Weg finden, nur Mensch zu sein.
Der Klang Ihrer Stimme zeichnet sich durch eine schöne Kühle und artistische Klarheit aus. Wollen Sie sagen, dass das alles bloß Natur ist?
Nein, es ist beides: Es ist gegeben, und es ist gemacht. Jeder Sänger braucht ein Grundtalent, also eine Stimme und die Fähigkeit, Emotionen und Stimmungen mit ihr auszudrücken. Ich will aber nicht behaupten, dass man nicht Technik anwenden muss, um Dinge, die in einem angelegt sind, nach außen zu transportieren. Lebendig wird es erst dann, wenn man die Technik vergessen kann und zur Natürlichkeit zurückkehrt. Einfach laufen lassen! Das Talent besteht eben darin, es hingehen lassen zu können – ohne dass es aus dem Ruder läuft.
Welchen Vorgängerinnen fühlen Sie sich in dieser Haltung verpflichtet?
Vor allem jener Sängerin, die für alle Sänger in Italien eine Vorbildfunktion gehabt hat: Maria Callas. Als ich jung war, habe ich auch oft Schallplatten von Renata Scotto gehört. Beide haben größten Wert nicht so sehr auf die Qualität der Stimme, als vielmehr auf die Interpretation gelegt. So ist es auch bei mir.
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Studiert haben Sie unter anderem bei Carlo Bergonzi, dessen Stimme gleichfalls über eine kühle Klarheit verfügte. Ist dieser Klang etwa ein Ausgleich zum warmen Klima ihrer Heimat, der Toskana?
Das wüsste ich auch gerne! (Lacht.) Wahr ist, dass ich Carlo Bergonzi bei einem Kurs in Siena kennengelernt habe. Noch viel wahrer ist, dass Sie mir da ein großes Kompliment machen. Carlo Bergonzi war ein ganz großer Sänger.
Wohnen Sie immer noch zwischen Weinbergen südlich von Florenz?
Schön wär’s! Leider lebe ich in Paris. (Lacht.) Wir wollen aber nicht vergessen, dass es auch in Paris guten Wein gibt. Ich bin sehr glücklich darüber, in Paris zu leben. Ich bin wegen der Liebe hier...
Ihre ersten Auftritte als Sängerin fanden unweit des Ortes statt, wo Sie aufgewachsen sind, nämlich in Florenz, Pisa, Modena und Livorno. Dachten Sie damals, Ihre Karriere würde sich hauptsächlich in Italien abspielen?
Ich hätte es gedacht, wenn ich überhaupt irgendwelche Planungen angestellt hätte. Das war aber nicht der Fall. Man hofft und denkt nicht mehr als nötig, wenn man jung ist. Dann hatte ich das Glück, dass Sergio Segalini, der künstlerische Leiter des Opernfestivals von Martina Franca und zugleich Journalist bei „L’Opéra“, mich hörte – kurioserweise im französischen Fach. Prompt führte mich der Weg nach Paris, dort allerdings schon als Nannetta in Verdis „Falstaff“ an der Bastille. Von da ging es dann wie von selbst.
Sogar Sie, eine italienische Sängerin, sind in Ihrem Heimatland zuletzt vor mehr als zwei Jahren aufgetreten, in Venedig als „Traviata“. Ist Italien als Opernland mittlerweile selbst für Sie nicht mehr planbar?
Ja, das stimmt leider. Es ist derzeit kaum möglich, Auftritte in Italien zu planen, weil dort sehr spät und ohne große Sicherheit die Spielpläne gemacht werden. Wenn die Anfragen kommen, ist mein Plan schon voll. Es gibt in Italien derzeit nur fünf ‚gesunde’ Opernhäuser: die Mailänder Scala, das „La Fenice“ in Venedig, außerdem die Opernhäuser von Turin und von Palermo ...
Und Rom?
Vielleicht...
Verona?!
Gewiss nicht. Die Arena di Verona ist eine schöne Sache für die Touristen. Ansonsten steht man auch dort vor vielen Problemen. Im Augenblick ist Italien für mich hauptsächlich ein Urlaubsland. Auch ich mache Ferien in der Toskana.
In Italien gab es zahlreiche wichtige Soprane, die zu wenige Aufnahmen gemacht haben: Mariella Devia, Daniela Dessì, ebenso Marcella Pobbe und Carla Gavazzi. Ist das Zufall?
Nicht ganz, wie ich vermute. Wir Italiener machen nicht gerne Marketing. Außerdem hat keine der großen CD-Firmen ihren Sitz in Italien. Auch ich bevorzuge die Bühne deutlich gegenüber dem Mikrophon und habe deswegen lediglich einige Barock-Duette – gemeinsam mit Joyce DiDonato – aufgenommen. CDs sind nicht meine Welt. Mir fehlen die Kollegen, mir fehlt die Geschichte, und das Publikum fehlt mir auch.
An der Deutschen Oper Berlin singen Sie im Oktober die Traviata, eine Rolle, für die man, wie Edita Gruberova behauptet, drei verschiedene Stimmen braucht: eine für jeden Akt. Worin bestehen die drei Stimmen?
Das sagt nicht nur Edita Gruberova, das sagt alle Welt. Der Punkt ist, dass ich nicht unbedingt glaube, dass es zutrifft. Die Stimme der Violetta macht während der drei Akte eine gewisse Entwicklung durch, mehr nicht. Violetta, so wie ich sie sehe, ist schon zu Beginn der Oper keineswegs eine leichtfertige Person. Man muss die Rolle so singen, dass schon am Anfang das Leiden und Kränkeln zu spüren ist. Umso subtiler ist es, die Entwicklung der Figur zu treffen. Genau darin liegt der Reiz.
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Im November singen Sie dann in der Neuproduktion „Die Hugenotten“ die Marguerite de Valois. Bietet Meyerbeer für eine Belcanto-Sängerin spezielle Schwierigkeiten – oder nicht?
Die Rollen Meyerbeers liegen auf der Linie des französischen, nicht des italienischen Stils. Insofern ist das etwas anderes. Es stecken mehr ‚Seufzer-Qualitäten’ in dieser Musik als ich es aus dem italienischen Repertoire gewohnt bin. Da ich aber das Glück habe, Meyerbeer gut zu kennen, bin ich zuversichtlich, diese mehr ätherischen Klänge gleichfalls zu treffen. Die Schwierigkeit liegt darin, eine Leichtigkeit zu finden, die darüber hinwegtäuscht, wie anstrengend und schwer diese Partien eigentlich sind. Aber das sind wir als Sänger ja gewohnt ...
Die Belcanto-Sopranistin Patrizia Ciofi stammt aus der Toskana, lebt aber heute in Paris – der Liebe wegen, warum sonst? Wie lange im Voraus bereiten Sie sich auf eine neue Partie vor?
Ich habe, ehrlich gesagt, kürzlich erst angefangen! Ich zögere es immer gern bis zum letzten Augenblick hinaus. Ich glaube, das ist das Italienische in mir. (Lacht.)
Tatsächlich? So etwas höre ich gern!
Na, da habe ich ja noch einmal Glück gehabt! Warten wir ab, bis die Premiere vorüber ist, und ob wir dann auch noch Freunde sind ... (Lacht.)
Ihr Reiseplan weist in diesem Jahr sechs Produktionen auf, davon nur eine Neuproduktion: „Die Hugenotten“. Bleibt Ihnen denn da so viel freie Zeit übrig, wie ich es für Sie hoffe?
Schon, aber das ist doch auch nötig! Wenn man nicht mehr ganz und gar jung ist, wird es unabdingbar, regelmäßig Auszeiten zu nehmen und sich zu regenerieren. Ich habe zeit meines Lebens viel gearbeitet, aber ich habe immer zugleich penibel darauf geachtet, nur um die 40 Vorstellungen pro Jahr zu singen. Nicht, dass mir das von irgendjemandem beigebracht worden wäre. Aber ich hatte das Gefühl, nicht einen Abend nach dem anderen auf der Bühne stehen zu können. So habe ich es beibehalten. Wenn ich dann frei habe, koche ich Pasta oder irgendwas Vegetarisches, obwohl ich kein konsequenter Vegetarier bin. Leider gefallen mir auch Süßigkeiten sehr gut.
Welche?
Mein Zeitplan ist meist so gestrickt, dass es mir immer noch gelingt, mein Tiramisu selber zu machen.
Dieses Gespräch ist in der Beilage der Deutschen Oper Berlin zur Berliner Morgenpost, Oktober 2016, erschienen.