Fünf Fragen an…. Aryeh Nussbaum Cohen - Deutsche Oper Berlin
Aus Libretto #5 (2023/24)
Fünf Fragen an…. Aryeh Nussbaum Cohen
Der junge Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen singt die Doppelrolle des Jungen und des Engels in WRITTEN ON SKIN. Darin enthalten: seine Lieblingsarie!
Ihr Register heißt Countertenor, der Name suggeriert eine Nähe zum Tenor und grenzt sich gleichzeitig von ihm ab. In WRITTEN ON SKIN gibt es keinen Tenor, die moderne Oper hat andere Helden als die italienische des 19. Jahrhunderts. Brauchen wir einen neuen Namen für Stimmen wie Ihre?
(Lacht) Es wäre schön, einen neuen Namen dafür zu finden. Weil zeitgenössische Komponisten die Möglichkeiten der hohen Stimme sehr interessant ausreizen. Auch George Benjamin gelingt dies wunderbar in WRITTEN ON SKIN. Manche Leute sagen zum Countertenor auch Sopranist, was wiederum die Beziehung zum Sopran betont. Man kommt aus diesen abhängigen Beziehungen also nur schwer wieder heraus.
Gab es eine Initialzündung, die Sie dazu bewogen hat, Countertenor zu werden?
Es war ein glücklicher Zufall. Bei einem Kindergeburtstag sangen wir Karaoke. Da fiel meine offenbar sehr hohe Version von Aretha Franklins »R.E.S.P.E.C.T.« auf. Meine Eltern wurden aufgefordert, diese Stimme zu fördern. Sie steckten mich in einen Kinderchor, der direkt neben meiner jüdischen Schule in Brooklyn probte und zufällig einer der zwei besten in New York City war. Nach dem Stimmbruch flog ich natürlich raus. Ich wollte aber unbedingt dabeibleiben. Denn wir sangen nicht nur Frühklassik in der Carnegie Hall, sondern auch im Madison Square Garden für Popstars wie Elton John oder Billy Joel. Cooler wird es nicht mehr für einen Zwölfjährigen, right? Also bat ich um Wiederaufnahme. Und beim erneuten Vorsingen sagten sie, okay, das ist auch im hohen Register gut genug. So wurde ich ein Countertenor, vorerst ohne zu wissen, was das überhaupt war.
Ihre Rolle in WRITTEN ON SKIN besteht eigentlich aus zwei Figuren: Einem Engel, und dem Jungen, der als Porträtmaler die Frau des Protectors verführt. Singen Sie die beiden jeweils anders?
Musikalisch nähere ich mich ihnen ähnlich, dramatisch aber anders. Interessant ist da vor allem der Bogen, den der Junge macht, als er sexuell und romantisch aufwacht. Seine Unschuld, die noch vom Engel herrührt, hat etwas Magisches, das er auch einsetzt in der Verführung von Agnès, der Frau des Protectors. Da ist etwas Durchlässiges zwischen dem Engel und dem Jungen, es sind zwei Seiten der gleichen Figur. Deshalb passt die fluide Stimme des Countertenors da so gut. Die letzte Arie dieser Figur, ganz am Ende des Stücks, ist ein Glanzmoment, ich habe sie schon beim Vorsingen für die Universität einstudiert und liebe sie über alles. Weil der Junge von sich singt, aber auch über sich, da der Text von Martin Crimp die dritte Person Einzahl setzt. Es ist höchst dramatisch und intensiv an der Stelle, und erlaubt dennoch einen kühlen Blick wie von außen. Brillant!
Heute reden wie viel über Gender Fluidität und sexuelle Identität. Der Countertenor ist eine Stimmlage, die gut zu diesen Diskussionen passt, oder?
Das stimmt, wir befinden uns in einem historischen Moment, was diese Dinge betrifft. Und viele Komponisten wissen das. Aber ich würde dem Countertenor dabei nicht zu viel Gewicht beimessen. Ich denke, dass die Fluidität dieser Stimmlage für viele Leute einfach attraktiv ist und dass über den Weg der künstlerischen Anziehung womöglich etwas mehr Gelassenheit in diesen Themen entstehen kann.
WRITTEN ON SKIN ist eine der seltenen zeitgenössischen Opern, die weltweit große Säle füllen kann. Warum?
Erstens: Die Story und die Sprache, musikalisch wie textlich, sind extrem dramatisch. Freunden sagen ich immer: Diese Oper ist wie ein sehr guter, kompakter Horrorfilm. Obwohl ich Horrorfilme ja schlecht vertrage, muss ich gestehen (lacht). Aber es geht um die Direktheit von Horror, die Überzeichnung, den Druck. Das gefällt auch Leuten, die sonst nicht ständig in die Oper rennen. Und gleichzeitig respektiert WRITTEN ON SKIN dabei viele historisch entwickelte Werkzeuge der Oper und geht sehr fein mit ihnen um. Zweitens: Diese mittelalterliche Geschichte kann auch über unsere Gegenwart sprechen. Die Vorlage stammt zwar aus einer Zeit der Pest, aber das Gefühl des auf sich selbst zurückgeworfen Seins bleibt universell. Dann die Eifersucht, die Wut. Und viele Sachen mehr, die uns auch nach bald tausend Jahren nicht fremd geworden sind, ganz im Gegenteil.