Acht Fragen an .... Etienne Dupuis - Deutsche Oper Berlin
Acht Fragen an .... Etienne Dupuis
Etienne Dupuis singt die Titelrolle in RIGOLETTO – einen Mann, der andere verhöhnt. Und dem am Ende alles genommen wird
Keine Stimmkategorie ist von Verdi so geprägt worden wie der Bariton. Was zeichnet den Verdi-Bariton genau aus?
Für Verdi stand der emotionale Ausdruck eines Sängers an erster Stelle. Perfekt singen konnten viele, aber den Maestro überzeugten nur diejenigen, die die tiefen Gefühle wirklich verkörperten. Es gibt eine schöne Anekdote über eine seiner frühen Lieblingssopranistinnen Rosina Penco. Verdi lernte sie in den 1840er Jahren kennen und war augenblicklich so begeistert von der Intensität ihrer Darbietung, dass er ihr sämtliche Rollen übertrug, da war sie gerade mal 30. Als er sie nach etwa fünf Jahren noch einmal auf der Bühne sah, war er schrecklich enttäuscht: Sie sang in seinen Augen immer noch technisch perfekt, aber ihr Vortrag hatte Tiefe und vor allem schauspielerischen Glanz verloren. Er hat sie danach nie wieder besetzt. Der perfekte Verdi-Bariton ist also einer, der den psychologischen Bogen einer Rolle so wahrhaftig verkörpert wie möglich.
Welcher psychologische Bogen spannt sich bei Rigoletto auf?
Rigoletto entwickelt sich vom niederträchtigen, boshaften, alle anderen Menschen verlachenden Charakter zum verletzlichsten Menschen der Welt. Das Einzige, was ihm wichtig ist, stirbt am Ende in seinen Armen. Für alle diese Gefühlslagen habe ich Empathie.
Sie spielen einen Vater, der seine Tochter verliert. Wie sehr leiden Sie auf der Bühne?
Ich leide mit Rigoletto, aber nicht nur als Vater. Es geht bei Verdis Bühnentoden immer um die Frage nach den letzten Worten: Was möchte ich der geliebten Person im letzten Augenblick zurufen? Oder was rufe ich ihr noch über den Moment ihres Todes hinaus zu? Darin steckt auch ein Unglaube, der bis zur Verdrängung gehen kann. Das ist universell.
Inwiefern verdrängt Rigoletto Gildas Tod?
Rigoletto möchte es nicht wahrhaben, dass seine Tochter in seinen Armen stirbt. Er ruft ihr zu: »Stirb nicht, stirb nicht… oder ich sterbe mit Dir!« Seit etwa einem halben Jahr haben diese Worte eine noch tiefere Bedeutung für mich: Ich gab den Rigoletto in Japan, nachdem meine gute Freundin, die Sopranistin Jodie Devos, eine Woche zuvor verstorben war. In der letzten Szene, ich hatte Nadine Sierra als Gilda im Arm, richtete ich meine Worte automatisch an Jodie. Man will einfach nicht wahrhaben, dass man einen Menschen, der eben noch gelebt hat, nie mehr sehen wird. Man spricht ihn weiter an, weil man es einfach nicht begreift.
Wie finden Sie nach so einer emotionalen Szene wieder zurück?
Es ist extrem schwierig – aber ich würde es mir niemals anders wünschen. Das ist der einzige Grund, warum ich in meinem Alter überhaupt noch singe: Ich darf in den Worten, die jemand anderes geschrieben hat, meine eigene Wahrheit suchen.
Sie sind im besten Sängeralter und denken ans Aufhören?
Ich liebe es zu singen. Aber ich habe noch nicht eine Sekunde lang gedacht: Oh, meine Stimme ist so wunderschön, das sollte ich ewig weitermachen. Auf der Bühne ziehe ich in erster Linie etwas aus der Schauspielerei. Und je älter ich werde, desto mehr verschiebt es sich in diese Richtung. Ich sage gerne, dass ich mit 45 Jahren nun voll in der Midlife-Crisis stehe. Aber ich will mir kein teures Auto kaufen, ich will auch meine Frau nicht gegen eine jüngere eintauschen. Was ich wirklich will, ist: mehr schauspielern, tiefer eintauchen. In Filmprojekten, Theaterstücken, kurzen Videoformaten auf Social Media, was auch immer.
Was ist die größte Herausforderung an der Rolle des Rigoletto?
Er ist ein typischer Verdi-Charakter, in seinem tiefsten Inneren tut sich ein schrecklicher Widerspruch auf. Er behandelt andere Menschen als wären sie nichts, aber in Wahrheit sehnt er sich nach etwas, das er allen anderen verweigert. Das ist für mich das Interessanteste an der Figur. Jedes Mal, wenn er jemanden auslacht, denkt ein Teil von ihm: Wenn wir einander nicht auslachen würden, könnten wir Freunde sein. Diese Dualität zeigt sich auch musikalisch, vom schmerzerfüllten »Cortigiani«, der feurigen Anklage gegen die Verschwörer, bis zum »Piangi«, mit dem ich Gilda zu trösten versuche, bleibt mir kaum Zeit, um einmal Luft zu holen. Wenn ich beides mit der gleichen Inbrunst singe, ist es eigentlich kaum zu schaffen.
Woran erkennt man, dass man als Sänger bereit ist für eine solche Rolle?
Man weiß es leider immer erst hinterher.