Sieben Fragen an ... John Fiore - Deutsche Oper Berlin
Sieben Fragen an ... John Fiore
Wenn es sein muss, dirigiert John Fiore ein Orchester auch, ohne zu proben. Auf Wagners DER FLIEGENDE HOLLÄNDER wird er sich aber ausreichend vorbereiten können
Sie sind an der Deutschen Oper Berlin zuletzt häufig spontan eingesprungen. Wie meistern Sie solche Situationen?
Ich erinnere mich an die Premiere von Puccinis IL TRITTICO, als Donald Runnicles kurzfristig krank wurde. Da konnte ich dem Orchester nur sagen: »Wir haben die drei unterschiedlichen Teile, IL TABARRO ist wie ein italienischer Debussy, SUOR ANGELICA eine Mini-Version von MADAMA BUTTERFLY und GIANNI SCHICCHI ist Rossini.« Das hat wunderbar funktioniert, weil jeder sofort Bilder und musikalische Nuancen im Kopf hatte. Solche Situationen verlangen Vertrauen, Konzentration, klare Gesten – und manchmal auch ein bisschen Glück.
Wie viel Spielraum haben Sie in Ihren Gesten?
Je besser sich Orchester und Dirigent kennen, desto feiner, subtiler und individueller können die Gesten sein. Aber es gibt bestimmte Regeln: Die rechte Hand gibt das Tempo vor, die linke sorgt für Farbe, Dynamik und Einsätze. Es geht nicht nur um die Hände – auch Blicke und die Atmung sind entscheidende Teile der Musik. Ich atme mit den Sängern und den Bläsern des Orchesters, um Phrasen zu gestalten und den Einsatz vorzubereiten. Für mich ist das ganz natürlich: Wenn ich eine Phrase zeige, bin ich mit meiner Atmung fast Teil des Gesangs oder des Spiels.
Nun dirigieren Sie den FLIEGENDEN HOLLÄNDER und haben Zeit, um zu proben. Wie bereiten Sie sich vor?
Der HOLLÄNDER ist eines der Werke, die mich durch meine gesamte Karriere begleiten, vermutlich ist es die Wagner-Oper, die ich am häufigsten dirigiert habe. Es war auch meine erste Wagner-Oper, ich habe sie schon mit zehn oder elf Jahren gesehen, als mein Vater Korrepetitor an der Oper in Seattle war. Ich kenne den HOLLÄNDER also sehr gut, er ist mir in meinen Körper übergegangen. Und dennoch schaue ich vor jeder Probe in die Partitur. Es gibt immer Details, über die ich nachdenke: Das große Duett zwischen Senta und dem Holländer ist eine der Schlüsselstellen, weil es extrem kompliziert zu singen ist. Hier muss ich den Sängern helfen, ohne den Spannungsbogen aus den Augen zu verlieren – ein langsames Accelerando, das von den ersten Worten des Holländers bis zum Ende der Szene reicht. Ich habe früher lange als Korrepetitor gearbeitet, das hilft mir enorm.
Haben Sie eine klangliche Vision für Ihren HOLLÄNDER an der Deutschen Oper Berlin?
Der HOLLÄNDER verlangt eine Balance zwischen Tiefe, Wärme und Brillanz – alles muss wie ein großes Ganzes klingen, aber mit fein herausgearbeiteten Details. In der Deutschen Oper Berlin ist der Wagner-Klang Teil der DNA des Orchesters, das ist einmalig. Ich muss übrigens meist ein wenig auf die Bremse treten, es macht einfach zu großen Spaß, Wagner zu spielen.
Im FLIEGENDEN HOLLÄNDER gibt es große Chorszenen. Wie halten Sie die von Ihrem Pult aus zusammen?
Besonders der Chor im dritten Akt ist da eine Herausforderung. Wenn so viele Menschen auf der Bühne stehen, kommen die Einsätze leicht zu spät. Da sind besonders klare, scharfe Gesten gefragt, um alle zusammenzuhalten. Auch der Beginn der Oper ist nicht ohne – dieser stürmische Einstieg muss Spannung aufbauen, ohne zu früh die gesamte Dynamik auszuschöpfen.
Wie lange bleibt die Musik nach der Aufführung in Ihrem Kopf?
Nach einem Dirigat habe ich Schwierigkeiten abzuschalten. Ich versuche, möglichst nicht direkt nach einer Vorstellung nach Hause zu gehen und zu schlafen, das funktioniert einfach nicht. Die Musik läuft weiter, aber sie läuft bei mir ohnehin immer weiter, auch jetzt, während wir sprechen.
Während wir sprechen, hören Sie gleichzeitig noch Musik in Ihrem inneren Ohr? Was denn?
Gerade läuft die Ouvertüre zu THE WRECKERS von Dame Ethel Smyth. Die habe ich kürzlich dirigiert – und sie geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Es ist, als hätte ich einen eingebauten CD-Player, der endlos läuft. Aber es stört mich nicht, ich kenne es ja nicht anders.