Acht Fragen an ... Jonathan Tetelman - Deutsche Oper Berlin

Aus Libretto #6 (2023)

Acht Fragen an ... Jonathan Tetelman

Tenor Jonathan Tetelman gibt Cavaradossi in TOSCA – ein schöngeistiger Intellektueller, der auf der Bühne große Qualen erleiden muss

Gewalt, Folter, Mord: TOSCA ist brutal. Warum ist die Oper so erfolgreich?
Weil da gleichzeitig Musik von großer Schönheit und Anmut drinsteckt. TOSCA ist wie ein 20 Jahre alter Scotch: Nach dem ersten Schluck sagt man: Sorry, das ist mir zu stark. Dann erarbeitet man sich einen Sinn für die Nuancen.

Was ist wichtiger, Schönheit oder Leid?
Seien wir ehrlich: Das Publikum möchte Emotionen erleben, aber eben durch die Schönheit der Musik transportiert. Keiner will einen Tenor sehen, der tatsächlich leidet und seine Töne nicht trifft, dafür geht man nicht in die Oper.

Was macht die Partie des Cavaradossi für Sie so spannend?
Die größte Hürde muss ich gleich zu Anfang nehmen. Ich komme auf die Bühne, starte direkt mit »Recondita armonia« und alle warten auf dieses berühmte letzte hohe B. Selbst Placido Domingo sagte einmal zu mir: »Jonathan, die Chance, dass ich da ohne Fehler durchkomme, liegt bei 50 zu 50.«

Wie versetzen Sie sich in einen geschundenen Mann wie Cavaradossi hinein?
Zu seinem Leiden habe ich im echten Leben keinen Bezug. Hier hilft die Musik, sie leitet mich in meinen Emotionen bis zu der Stelle, an der ich vor Schmerzen schreie. Diese Schreie kommen fast natürlich aus mir heraus, so genial ist es komponiert. 

Ihre Schreie ertönen aus einer Folterkammer, die dem Zuschauer verborgen bleibt, also aus dem Off. Schreien Sie eigentlich selbst?
Es gibt zwei Arten von Schreien, die einen sind notiert, sie sind also noch Gesang, die kommen natürlich von mir. Und dann gibt es einen letzten Schmerzensschrei, grässlich und lang, heißt es im Libretto, den übernimmt meist jemand anderes. Ich muss direkt danach das berühmte hohe Ais in »Vittoria, Vittoria« singen. Die Gefahr, dass ich mir vorher die Stimme ruiniere, ist zu groß.

Sie spielen einen Maler und Intellektuellen, jung und gutaussehend. Wie wichtig ist Schönheit auf der Bühne?
Letztlich geht es immer um die Rolle: Kann der Sänger oder die Sängerin die jeweilige Figur glaubhaft verkörpern? Wenn da aber jemand auf der Bühne steht, der ganz anders aussieht, als im Libretto beschrieben, macht man es dem Publikum unnötig schwer. Sängerinnen und Sänger sind Projektionsflächen, eine gewisse Attraktivität, wie auch immer man sie definiert, schadet da sicher nicht. 

In TOSCA wird Brutales schön erzählt. Das erinnert an Hollywood-Filme.
Das finde ich nicht. Ein Hollywood-Film muss das Publikum abholen, TOSCA hingegen macht es seinen Zuschauern nicht leicht. Als meine Eltern mich zum ersten Mal als Cavaradossi auf der Bühne sahen, waren sie entsetzt. Folter, Mord, Vergewaltigung, das war zu viel für sie. Wie kann dieser Alptraum Oper sein? Erst als sie dann später die Videoaufnahme einer anderen Inszenierung fast ohne Bühnenbild sahen, konnten sie die Schönheit und Tiefe hinter der brutalen Oberfläche erkennen und genießen. TOSCA muss man mindestens zweimal sehen, das unterscheidet die Oper von Hollywood.

Und sieht dann womöglich zwei verschiedene Opern?
TOSCA ist eine fiktive Geschichte, vielleicht lädt das besonders zum Experimentieren ein. Ich habe den Cavaradossi im klassischen Setting gegeben, im Rom um 1800, aber auch schon im Weltall, in einer Art White Cube, zuletzt in einer Winterlandschaft, in der statt einer opulenten Kirche nur ein karger Baum stand, an dem Leichenteile hingen. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich Cavaradossi auf seinen interdimensionalen Reisen durch Raum und Zeit begleiten. Er lebt immer das gleiche Leben, aber in vollkommen verschiedenen Welten. 

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