Acht Fragen an ... Kathryn Lewek - Deutsche Oper Berlin
Aus Libretto #3 (2022)
Acht Fragen an ... Kathryn Lewek
Die Sopranistin Kathryn Lewek debütiert in LES CONTES D’HOFFMANN in drei verschiedenen Frauenrollen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Olympia, Antonia und Giulietta – drei Frauen, drei Stimmen. Wie üben Sie das ein?
Ich orientiere mich an Partien, die ich schon kenne. Mit gradlinigem Koloraturgesang wie bei Olympia begann meine Karriere. Antonia ist lyrischer, hat ein anderes Legato, ähnlich vieler Partien, die ich gegenwärtig singe. Giulietta ist musikalisch und inhaltlich tiefgründiger, in diese Richtung möchte ich mich entwickeln. Ich bewege mich wie in einer Zeitmaschine durch meine eigene Biografie.
Die Frauen sind männliche Projektionen, existieren nur in Hoffmanns Kopf. Wie gehen sie damit um?
Genau das macht sie spannend. Man könnte denken: Olympia ist die uninteressanteste, nur eine schöne Hülle mit einer verzückenden Stimme. Aber ihren Zauber entwickelt sie im Zusammenspiel mit Hoffmann. Gerade ihre blutleere Äußerlichkeit entlarvt seinen oberflächlichen Blick. Meine Aufgabe besteht nicht darin, Olympia Tiefe zu verleihen, sondern Hoffmann so dumm wie möglich aussehen zu lassen.
Haben sie eine Lieblingsrolle?
Ganz klar Antonia. Sie verkörpert die reine und aufrichtige, erwiderte Liebe – alles scheint perfekt. Umso tragischer, dass sie diese Liebe nicht ausdrücken kann, dass sie nicht mehr singen darf. Ihre Verzweiflung geht mir nah. Wenn ich wüsste, dass mich mein eigener Gesang umbringen würde, würde mich das zerstören. Vielleicht würde auch ich dann den Tod wählen.
Und dennoch möchten Sie sich in Zukunft stimmlich eher in Richtung Giulietta entwickeln. Warum?
Mich reizen das Mysteriöse und die Komplexität dieser Figuren. Ich verstehe Giulietta nicht vollständig, sie bleibt rätselhaft in ihren Motiven. Wenn Sie Hoffmann aufrichtig liebt, warum belügt und betrügt sie ihn? Ich hatte mich zunächst gefragt, ob ihre Motivation vielleicht außerhalb der Opernhandlung zu verorten ist, ob etwas vorgefallen ist, von dem die Zuschauer nichts wissen. Aber je mehr ich mich mit ihr beschäftige, desto weniger suche ich nach Erklärungen. Denn auch wenn sie selbstbestimmt agiert: Sie existiert nur in Hoffmanns Kopf, sie ist umhüllt von einem Geheimnis, das nur er aufzulösen weiß. Und dieses Geheimnis muss ich als Sängerin bewahren.
Es gibt Inszenierungen, in denen die drei Partien mit unterschiedlichen Sängerinnen besetzt werden. Hat das Vorteile?
Ich selbst habe immer Anfragen abgelehnt, nur die Olympia zu singen. Es mag Vorteile haben, die Partien stimmlich exakt passend zu besetzen, in meinen Augen geht dabei aber etwas verloren. Ich verstehe Olympia, Antonia und Giulietta als die Facetten einer einzigen Frau, nämlich Hoffmanns Geliebter Stella, einer Opernsängerin.
Eine Frau, die gleichzeitig eine blutleere Hülle, eine rein und aufrichtig Liebende und eine rätselhafte Betrügende ist?
Stella ist ein vielschichtiger Charakter. Für mich ist eine der zentralen Aussagen der Oper: „Women contain multitudes.“ (Frauen enthalten Vielheiten.) Vielleicht beschreibt Hoffmann mit seinen Erzählungen auch den Ablauf ihrer Liebesgeschichte. Er lernte sie als Opernsängerin kennen, zweifelte aber an ihrer Tiefgründigkeit, später verliebten sie sich ineinander, für einen Moment war ihre Liebe vollkommen – und am Ende stand der Verrat.
Also doch ein zeitgemäßeres Frauenbild, als es zunächst den Anschein hat?
So weit würde ich nicht gehen. Das Frauenbild in HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN bleibt patriarchalisch, weil es aus einer Zeit stammt, in der die Gesellschaft patriarchalisch war. Das gilt aber für die meisten historischen Opern. Die entscheidende Frage ist: Wie können wir heutzutage auf einen solchen Stoff blicken? Ich sehe da eine facettenreiche Frau und einen Mann, der mit ihrer Vielschichtigkeit hadert. Kommt er damit klar, dass seine Frau ist, wie sie ist – mit allen Qualitäten und Abgründen? Nicht sie muss sich am Ende bewähren, sondern er.
Und wie wird er sich entscheiden? Die Oper lässt es ja offen.
Wenn das Publikum sich genau diese Frage am Ende der Vorstellung stellt, wenn es darüber diskutiert, als habe es gerade einen Einblick in eine Welt erhalten, die tatsächlich existieren könnte: Dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt.