Sieben Fragen an ... Nina Stemme - Deutsche Oper Berlin
Sieben Fragen an ... Nina Stemme
Macht, Manipulation und musikalische Extreme: Nina Stemme über ihre Rolle als Ortrud in Wagners LOHENGRIN
Ortrud agiert als Intrigantin gegenüber der lauteren Elsa. Wie nähern Sie sich Ihrer Rolle?
Ich suche in jeder Figur nach etwas Menschlichem, auch wenn sie nach außen hin kalt oder skrupellos erscheint. Ortrud ist keine eindimensionale Bösewichtin, sondern eine Frau, die ihren Platz in der Welt verloren hat und um ihre Macht kämpft. Ich empfinde an manchen Stellen sogar Mitleid mit ihr. Aber gleichzeitig widerspricht die Musik einer zu positiven Interpretation. Wagner zeigt uns mit seiner Komposition sehr deutlich, dass Ortrud eine destruktive Kraft ist.
Wie macht Wagner das musikalisch hörbar?
Zum einen durch ihre Melodieführung. Sie nutzt oft schleichende, fast schmeichelnde Linien, besonders wenn sie Elsa umgarnt. Doch darunter lauert etwas Bedrohliches, das zeigt sich in der Harmonik, in den chromatischen Wendungen und überraschenden, dissonanten Akkorden. Wagner gibt Ortrud die modernste Musik im ganzen Stück – sie ist stellenweise fast atonal. In ihren wütenden Ausbrüchen ist die Musik hart und schroff, aber ihre eigentliche Spezialität ist das Einflüstern, das unter der Oberfläche brodelt.
Ortrud kämpft für die Rückkehr einer alten Ordnung, hat aber die modernste Musik. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Vielleicht hat Wagner nach neuen Wegen gesucht, um eine so manipulative Figur darzustellen. Er musste eine musikalische Sprache finden, die ihre gefährliche Unruhe widerspiegelt. Es ist faszinierend: Ortrud und Telramund sind in ihrem Weltbild eigentlich rückwärtsgewandt – aber sie kämpfen mit Mitteln, die ihrer Zeit voraus sind.
Macht das die Partie musikalisch besonders anspruchsvoll?
Es ist vor allem die Bandbreite, die sie schwierig macht: Ortrud singt oft in der tiefen Mittellage, endet aber schrill und hoch. Ich muss die Farben meiner Stimme genau ausbalancieren – von unterschwelliger Wut bis zur offenen Eskalation. Die Herausforderung besteht darin, nicht alles auszuspielen, sondern die Kraft der Musik wirken zu lassen. Das berühmte »Less is more«. Ihre bedrohliche Präsenz wird stärker, wenn man nicht übertreibt.
Sie haben viele starke Frauenfiguren von Wagner gesungen. Wie unterscheidet sich Ortrud von Sieglinde, Isolde oder Kundry?
Ortrud bleibt im Kern unverändert, während andere Figuren in Wagners Opern eine Entwicklung durchmachen. In gewisser Weise ist sie der Katalysator der Handlung, aber sie selbst bleibt starr in ihrer Überzeugung. Diese Unbeweglichkeit macht sie so gefährlich. Im Gegensatz zu Sieglinde oder Isolde gibt es bei ihr keine Läuterung, keinen Erkenntnisgewinn. Ich muss bei ihr immer an Trump und die Alt-Right-Bewegung in den USA denken.
Sie haben lange hochdramatische Sopranpartien wie Isolde oder Brünnhilde gesungen. Ortrud ist Ihre erste tiefere Wagner-Rolle. Wann wussten Sie, dass Ihre Stimme bereit dafür ist?
Diese Partie hat mich schon lange fasziniert. Ursprünglich dachte ich, dass Elsa meine Kernpartie sein sollte, doch dann habe ich sie nur ein einziges Mal gesungen, 1999 in Basel, und bin direkt ins dramatischere Fach gewechselt. Während der ganzen Zeit habe ich von der Seite auf Ortrud geschielt und gedacht: Das könnte doch einmal eine Rolle für mich sein, wenn sich meine Mittellage gut entwickelt. Es ist ein langsamer, bestenfalls natürlicher Prozess. Man spürt irgendwann, dass die Stimme bereit ist.
Gibt es einen Moment in der Oper, der Sie besonders berührt?
Ja, das Duett mit Elsa, wenn Ortrud sie anfleht: »Ist meine Stimme dir zu fremd?« Sie gibt sich verzweifelt, um bei Elsa Mitleid zu erwecken – aber gleichzeitig ist da ein unterschwelliger Vorwurf: »Was tat ich dir?« Es ist eine geniale Szene, weil sie zeigt, wie Ortrud manipuliert. Die Musik ist in diesem Moment überraschend schlicht, fast ohne Chromatik, aber voller klagender Moll-Klänge. Man muss diese Passage aufrichtig singen, obwohl sie eine Lüge ist. Genau diese Ambivalenz macht Ortrud so faszinierend.