Fünf Fragen an Thomas Blondelle - Deutsche Oper Berlin
Fünf Fragen an Thomas Blondelle
Herr Blondelle, Sie sind in Belgien geboren – auf der Nahtstelle zwischen deutscher und französischer Kultursphäre. Ist französische Kultur für Sie etwas, das Sie mit der Muttermilch aufgesogen haben, oder eher etwas, das Sie mit Distanz wahrnehmen?
Belgier zu sein, in Belgien zu wohnen und aufzuwachsen, hat natürlich immer Vor-und Nachteile. Es stimmt, dass das Land auf der Nahtstelle zwischen deutscher, französischer und vielleicht sogar britischer Kultur liegt. Das hat den Vorteil, dass man irgendwie „etwas von allem“ kriegt, aber leider auch den Nachteil, dass man riskiert, keine richtige Identität, keinen eigenen kulturellen Hintergrund zu haben: „Belgisch“ als Sprache gibt es ja nicht, zum Beispiel. In Wallonien spricht man ja klassisches Französisch, in Flandern flämisches Niederländisch. Ich bin in Flandern geboren, und somit ist Französisch für mich definitiv eine Fremdsprache, die man zuerst in der Schule lernt, und dann später vielleicht in der Praxis üben kann, wenn man z. B. in Brüssel arbeitet, Freunde in Wallonien hat oder dort Urlaub macht. Aber ich habe natürlich einen (hoffentlich süßen) Akzent und mache Fehler, die Herrn Molière Bauchweh verursachen würden. Somit ist französische Kultur für mich persönlich erst einmal eine fremde Kultur, aber die Nähe ist natürlich immer da. Gerade in Flandern isst man (wie wir gerne selbst sagen) „Burgundisch“: Die französische Ess- und Genießkultur ist absolut da, und das unterscheidet uns ja sehr von unseren geliebten Nachbarn aus den Niederlanden (sorry, liebe Holländer). Das hat nicht nur mit unserer politischen Geschichte zu tun (15. Jahrhundert, Maria von Burgund usw.), sondern auch mit der Tatsache, dass Flamen wahnsinnig gerne viel und gut essen. Ich sage immer: Die Restaurants in Belgien bieten französische Qualität, aber in deutschen Portionen. Irgendwie verstehen alle dann sofort, was ich damit meine (zwinkert).
Perfekt französisch zu sprechen, ist wegen der Nasallaute für Nicht-Muttersprachler eine echte Herausforderung. Ist das beim Singen leichter?
Wie gesagt … ich spreche es nicht perfekt, und singe es sicherlich auch nicht perfekt. Ich fand Französisch sogar immer schwer. Aber: Wenn man dann versteht, in welche Richtung es gehen soll, ist es eigentlich eine wahnsinnig tolle Sprache zum Singen – es hilft sehr bei der Technik. Das schöne gesungene Französisch war allerdings vor 50 Jahren völlig anders als jetzt (Hören Sie sich z. B. einmal Pierre Bernac an, wenn er Poulenc singt. Das erinnert irgendwie an Peter Pears auf Englisch: Man versteht wirklich jedes Wort. Aber das Ganze wirkt heute vielleicht etwas manieriert). Heute scheint man sich etwas mehr am gesprochene „Alltags“-Französisch zu orientieren, aber ich bin wirklich kein Spezialist. Grundsätzlich gilt – finde ich –, jede Sprache ist schwer, wenn man sie richtig gut singen will: Italienisch z. B. wird gerade von Sängern unglaublich unterschätzt. Aber in jeder Sprache liegt, meiner Meinung nach, auch schon die Musik. Wenn das Gedicht und der Komponist gut sind, ist es einfacher für den Sänger. Aber speziell am Französichen finde ich die Akzente immer toll: Pavarotti als Don José ist doch großartig? Es hat nichts mit Französisch zu tun, wie er „la flaar que tu m'a jetaa“ singt, aber man hört einen Italiener der seine fantastische Stimme und Technik italo-französisch klingen lässt – das Ganze spielt dann aber eigentlich noch in Spanien. Diese Sprachensuppe kann ich genießen, wirklich!
Gibt es eigentlich einen generellen Unterschied zwischen den Liedern französischer Komponisten und der Art, wie deutsche Komponisten Gedichte vertonen?
Das finde ich nicht. Sowohl im deutschen wie auch im französischen Bereich scheint mir der Text wirklich immer Ausgangspunkt Nr. 1 zu sein. Dass die Sprachen unterschiedlich sind, bedeutet noch nicht, dass man grundsätzlich anders vorgeht beim Komponieren – obwohl so eine Frage wirklich das Thema einer Doktorarbeit sein könnte ... Ich hoffe, dass ich niemanden beleidige, aber Lieder von Duparc, Gounod und Berlioz kann man – finde ich – ohne Probleme auf Deutsch singen. Und Schubert auf Französisch geht wirklich, wenn die Übersetzung gut ist. LOHENGRIN und TANNHÄUSER auf Italienisch sind übrigens auch sehr schön. Es scheinen mir eher die allgemeinen musikalischen Unterschiede zwischen deutschen und französischen Komponisten wichtig. Wir proben gerade DIE FLEDERMAUS: Ich finde es unglaublich interessant zu merken, wie sehr das ein wienerisches „Remake“ von Offenbach ist. Man merkt, dass es kein Franzose gewesen ist, der die Operette geschrieben hat, aber ich finde gerade die „Offenbach'schen“ Züge dieser Operette so fantastisch. Das bedeutet auch, dass es eine Herausforderung ist, die typisch französische Leichtigkeit in der Musik zu entdecken. Da muss man sich manchmal durch Generationen von dickem, schwerem, postromantischem teutonischen Vollklang arbeiten. Vielleicht kann man aber schon sagen, dass Poulenc und Satie (die beim Liederabend dabei sein werden) in der Beschränkung und quasi léger absurden Art Musik zu schreiben, wirklich typisch französisch sind.
Welche der Lieder, die Sie bei Lieder und Dichter singen, sind Ihre persönlichen Favoriten? Und warum?
ALLE! Ich singe keine Lieder, die ich nicht mag. HAHA! Wirklich, das ist unheimlich wichtig: In der Oper sollte man ja eigentlich auch keine Rollen singen, die man nicht absolut liebt, und keine Figuren spielen, die man nicht irgendwie versteht oder liebt. Beim Liederabend ist das ja noch wichtiger. Die Gestaltung des Programms entscheidet der Sänger selbst. Das heißt: Alle Lieder sollten Deine Lieblinge sein, quasi Dein „Best Of“. Die Lieder-CDs, die ich bisher aufgenommen habe, sind deswegen auch komplette Pot-Pourris. Also musste ich immer „intelligenten Programmhefte“ dazu schreiben, sodass man (ich selbst auch) den Zusammenhang zwischen den Liedern versteht. Aber wie auch immer: Ich bin ein großer Poulenc-Fan, und ich freue mich sehr, dass wir „Le Bestiaire“ und auch die „Banalités“ im Programm des Liederabends präsentieren. Die Lieder sind wie Pralinen: klein, fein und leicht … aber sie schmecken wie eine große Tafel Schokolade, gefüllt mit den besten Zutaten. Die Lieder sind oft nur 50 Sekunden lang, erzählen aber Geschichten wie eine zweistündige Oper. Meisterhaft!
Sie haben auch selbst Lieder komponiert. Haben Sie sich da eher an der französischen oder an der deutschen Tradition orientiert?
Also, mein Komponieren ist nur eine Art Hobby – und die Lieder die ich in Berlin singen werde, heißen „Le Bestiaire secondaire“ – „das zweite Bestiarium“, weil der „erste“ ja natürlich der Zyklus von Poulenc ist. „Secondaire“ meine ich hier auch wirklich als „sekundär“, zweitrangig also. Meine Lieder wurden komponiert, weil Poulenc nur einige Gedichte des Apollinaire-Zyklus vertont hat, und weil noch viele wirklich tolle Gedichte „übrig“ waren. Als einen Spaß habe ich, nach Poulencs Vorbild, einige dazu geschrieben, aber eben deutlich „sekundär“. Musikalisch gibt es absolut keinen Zusammenhang: Das eine Lied klingt nach Pergolesi, das andere nach Debussy, ein anderes wieder nach Schubert. Jedes Lied endet aber mit einem „falschen“ Ton des Pianisten. Man hat sozusagen den Eindruck, dass dieser einen kleinen doch deutlichen Fehler macht – ein gemeiner Trick, um die Kritiker wach zu halten und selbst besser wegzukommen. Wenn sie meinen, einen Fehler beim Pianisten bemerkt zu haben, schreiben sie gerne ausführlich darüber und lassen den Sänger vielleicht in Ruhe. Schade, dass ich dieses Betriebsgeheimnis jetzt preisgegeben habe … (er zwinkert)