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Geschlossene Gesellschaft - Deutsche Oper Berlin

Was mich bewegt

Geschlossene Gesellschaft

Regisseur David Hermann beleuchtet mit seiner FIDELIO-Inszenierung das Thema Gefangenschaft – und stellt die Frage nach dem Preis der Freiheit

Es heißt, mit FIDELIO habe Beethoven die große Freiheitsoper geschrieben. Ich sehe das anders: Für mich ist FIDELIO in erster Linie eine Oper über Gefangenschaft. Das Prinzip der Gefangenschaft ist etwas, das in Theater oder Oper nicht darstellbar ist, erst recht nicht durch einen Realismus. Man muss eine Spielart, eine Spieltemperatur finden, die das System des Gefängnisses glaubwürdig ins Theater übersetzt. Beethoven und seine Librettisten beweisen ein sehr feines Gespür für die gesellschaftlichen Strukturen des Gefängnisses, mit ihren eigenen Regeln, Abhängigkeitsverhältnissen, Hierarchien und Machtgefällen. Mich interessiert, was dieses System mit den Menschen macht, die sich ihm aus unterschiedlichen Gründen anschließen, sei es aus Zwang als Insassen oder aus vermeintlich freiem Willen als Wärter und Angestellte.

Die Arbeit an FIDELIO begann für mich also mit dem Nachdenken darüber, wie man eine theatrale Welt erschaffen kann, in die der Zuschauer eintauchen kann, die ihm aber zugleich fremd bleibt. Denn das Gefängnis ist für die meisten Menschen ein Ort, mit dem sie nie in Berührung kommen werden. Wir haben zwar Assoziationen, wir haben Bilder im Kopf, von Zellen, schweren Eisentüren und langen Gängen, aber wir haben keinen Bezug zum Erleben von Gefangenschaft; auf einer empathischen Ebene ist uns die Gefangenschaft beinahe so fremd wie der Tod – und daher ähnlich tabuisiert. Dabei sind Gefängnisse Erfindungen, sie funktionieren wie eigene Gesellschaften außerhalb unserer Zivilgesellschaft und lassen sich als soziale Gefüge von Individuen mit komplexen Abhängigkeiten, Sehnsüchten und Ängsten erzählen. Statt einen realen Ort nachzubilden, schaffen wir einen Raum, der den Zuschauern diesen emotionalen Zugang eröffnet. Der geheime Kerker, in dem Florestan auf seinen Tod wartet, kann intellektuell zum Nachdenken über politischen Machtmissbrauch anregen, zunächst soll er aber beunruhigen und das Unheimliche erlebbar machen.

In diesem System der Gefangenschaft wirken Leonore und Don Pizarro wie die einzigen souverän agierenden Subjekte. Pizarro macht sich als skrupelloser Advokat seiner eigenen Interessen die Strukturen von Macht und Unterdrückung zunutze, indem er ein Geheimgefängnis errichtet und seinen Widersacher Florestan von der Bildfläche verschwinden lässt. Und Leonore wiederum kämpft verkleidet als Fidelio fast wie eine Agentin für das Gute, für die Freiheit ihres zu Unrecht eingekerkerten Ehemannes. Sie beide täuschen etwas vor und bewegen sich damit außerhalb der festgeschriebenen Ordnung. Und dennoch ist schnell klar, dass auch sie sich der Struktur der Unfreiheit nicht entziehen können. Wer sich in das Gefängnis begibt, der begibt sich in Gefangenschaft, ob er nun Häftling, Wärter, Gouverneur oder Pförtner ist. Alle Protagonisten durchlaufen Stadien der Abnutzung, des Aufgeriebenseins, das Gefängnis höhlt sie allmählich aus. Pizarro ist von Anfang an unfrei, weil er weiß, dass sein System irgendwann auffliegen wird. Und selbst Leonore sieht sich gezwungen, ihre Macht zu missbrauchen und unbeteiligten Dritten zu schaden. Es gibt in FIDELIO keinen Heroismus ohne Brüche, das macht die Oper so interessant und modern.

Obsiegt am Ende die Freiheit? Zunächst schon, denn Leonore gelingt mit beispiellosem Mut das Undenkbare: Sie befreit nicht nur ihren Mann, sondern löst einen Umsturz aus, in dessen Folge das gesamte Unrechtssystem aufgelöst wird – eine Apotheose der Befreiung. Doch das Ende kommt abrupt, wie ein Fremdkörper. Beethoven hat den Bruch auch musikalisch deutlich herausgearbeitet. Mir erscheint der Jubel des Volkes fast ein wenig zu laut, zu triumphal, er übertönt erstmals auch die beiden Protagonisten. Sie werden von der Masse regelrecht verschluckt. Hier frage ich mich, wie es weitergeht: Wie reagiert die aufgestachelte Gesellschaft auf die Befreiung? Ist sie überhaupt in der Lage, zu einem Konsens darüber zu gelangen, was sie unter Freiheit versteht und was mit dieser anzufangen ist? Oder ist sie schon zu ausdifferenziert in ihren Meinungen, zu zersplittert in ihren Befindlichkeiten? Eine zentrale Frage für unsere Inszenierung lautet: Was geschieht, nachdem die Obrigkeit die Szene verlassen hat? –  Aufgezeichnet von Tilman Mühlenberg