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Größtmögliche Vielfalt in der Ganzheit - Deutsche Oper Berlin

Aus dem Programmheft

Größtmögliche Vielfalt in der Ganzheit

Gedanken von Sir Donald Runnicles zu ARABELLA

Für mich liegt der Schlüssel zum Verständnis der Musik von Richard Strauss in seinem Anspruch und Selbstverständnis als Orchesterkomponist. Während man der Musik anderer Komponisten – auch derjenigen Richard Wagners – anmerkt, dass sie am Klavier erdacht wurde, ist das Instrument, von dem Richard Strauss ausgeht, das gesamte Orchester. Er schrieb seine Partituren ohne den Umweg über das Klavier, indem er direkt vom Orchesterklang ausging, den er perfekt im Kopf hatte. Und er war einer der größten Dirigenten seiner Zeit – für Strauss ist das Orchester der Dreh- und Angelpunkt des Schaffensprozesses und auch deshalb hat er wohl nur wenig Klavier- und Kammermusik hinterlassen.

Das hatte einerseits zur Folge, dass Strauss aus seiner gründlichen Kenntnis aller Orchesterinstrumente heraus die virtuosen Anforderungen für jedes Instrument und damit auch dessen expressiven Spielraum erheblich steigern konnte. Mit dieser Meisterschaft der Orchesterkunst verbindet sich bei Strauss aber auch der Anspruch, alle Dinge des Lebens durch das Orchester ausdrücken zu können – egal, ob es sich um extreme Leidenschaften wie in ELEKTRA, um philosophische Gedanken wie in „Also sprach Zarathustra“ oder um Alltäglichstes wie in der „Sinfonia Domestica“ handelt. Gerade Letzteres hat man Strauss oft zum Vorwurf gemacht und ihm nicht verziehen, dass in seiner Klangwelt auch scheinbar Banales Platz hatte. Für mich liegt jedoch gerade darin die Modernität von Strauss, indem er in seinen Kompositionen das Nebeneinander verschiedenster Dinge, erhabener wie ganz gegenständlicher, abbildet. Das betrifft nicht nur die Dinge der Außenwelt, sondern auch – und das ist natürlich vor allem für seine Opern relevant – die menschliche Psyche.

Anders als die moralisch wertenden Komponisten des 19. Jahrhunderts komponiert Richard Strauss ohne Vorurteile. Sein Anspruch ist im Gegenteil, all die divergierenden Gedanken, Triebe und Gefühle, die den Menschen bewegen, zugleich abbilden zu können und damit größtmögliche Vielfalt in der Ganzheit seiner orchestralen Klangwelt zu schaffen. Und ähnlich wie sich in Werken wie der „Alpensinfonie“ Gedankentiefe und illustrativ naturhafte Laute zu einem großen Bild des Lebens in seinem Werden und Vergehen fügen, so werden auch seine Opern durch größte Gegensätze geprägt.

Auch in ARABELLA ist für drastische Dissonanzen, etwa bei Mandrykas Schilderung seines Kampfes gegen eine Bärin, ebenso Platz wie für die schwere­losen Kantilenen Arabellas, das hektische Gewimmel des Faschingsballs oder auch halbversteckte musikalische Insider-Gags wie das wiederholte Zitieren von LOHENGRIN. In ARABELLA gibt es aber noch ein weiteres bemerkenswertes Stilmittel, mit dessen Einsatz Strauss sicher auch demonstrieren wollte, dass er in allen kompositorischen Teilbereichen auf der Höhe seiner Zeit war: In der Partitur gibt es immer wieder polyrhythmische Passagen, bei denen die verschiedenen Instrumente zeitgleich Duolen, Triolen und Quartolen spielen, ein Sechsachteltakt zeitgleich mit einem Dreivierteltakt gespielt wird und dergleichen. Auch deshalb gehört ARABELLA übrigens zu den Opern, die am schwierigsten einzustudieren sind – für die Sängerinnen und Sänger wie für das Orchester. Der Effekt, den Strauss dadurch erzielt, ist freilich ein besonderer: Auch wenn Tanzidiome wie der Walzer oder am Ende des zweiten Aktes die Polka immer wieder präsent sind und stellenweise den Pulsschlag des Stückes bestimmen, erreicht Strauss so eine Brechung des Klangs, die einerseits in ihrer Vielstimmigkeit modern wirkt, zugleich aber auch die alte K.u.K.-Welt wie durch ein Kaleidoskop aufscheinen lässt.

Bei all seinem Ehrgeiz, die Ausdrucksmittel und Perspektive der musikalischen Moderne in seine Orchestersprache zu integrieren, glaube ich allerdings, dass Strauss im Herzen ein konservativer Mensch war und ARABELLA durchaus mit einem Gefühl von Nostalgie und Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ geschrieben hat. Genauso wie er eben auch Dissonanzen als „Mittel zum Zweck“ einsetzt, seine Werke dann aber in strahlender Tonalität enden lässt. Entscheidend ist für mich aber, dass Strauss bei aller Virtuosität nie das wichtigste Ziel des Musiktheaters aus den Augen verliert: Menschen auf die Bühne zu stellen, an deren Geschick wir durch seine musikalische Gestaltung Anteil nehmen. Und diese Menschen gibt es auch in ARABELLA: Sei es die Titelfigur, die im Verlauf einen bewegenden menschlichen Reifungsprozess durchmacht, oder sei es Mandryka, dessen Erzählung vom Tod seiner ersten Frau die ganze Güte dieses Menschen offenbart. Und wenn Strauss diesen Menschen einen Opernschluss voller Schönheit und Harmonie gönnt, bin ich ganz auf seiner Seite.

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22
DEZ

Advents-Verlosung: Das 22. Fensterchen

Am 7. März 2025 feiert der erste Teil von Tobias Kratzers Strauss-Trilogie ARABELLA im Rahmen unserer „Richard Strauss im März“-Wochen seine Wiederaufnahme mit u. a. Jennifer Davis als Arabella, Heidi Stober als Zdenka/Zdenko, Thomas Johannes Mayer als Mandryka, Daniel O'Hearn als Matteo und wie in der Premierenserie mit Doris Soffel und Albert Pesendorfer als Ehepaar Waldner. Heute verlosen wir unsere DVD, die erst ab 14. Februar 2025 überhaupt im Handel erhältlich sein wird. Wir danken NAXOS aufs Herzlichste dafür, dass wir die ganz besondere Möglichkeit wahrnehmen dürfen, für Sie beinahe acht Wochen vor dem offiziellen Verkaufsstart ARABELLA in unseren Los-Topf zu geben.

Im heutigen Adventskalender-Fensterchen verlosen wir 2 Mal eine DVD von ARABELLA – eine lyrische Komödie in drei Aufzügen von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Wenn Sie eine der zwei DVDs gewinnen möchten, schreiben Sie bitte heute eine E-Mail mit dem Betreff „Das 22. Fensterchen“ an advent@deutscheoperberlin.de.

Wien, um 1860. Der verarmte Graf Waldner lebt mit seiner Familie in einem Wiener Hotel. Der einzige Ausweg aus seiner prekären Lage ist eine reiche Heirat für eine seiner beiden Töchter. Doch reichen die Mittel der Familie nur, um die ältere der beiden, Arabella, standesgemäß zu präsentieren. Damit die finanzielle Notlage der Familie nicht auffällt, wird Zdenka, die jüngere Schwester, als Junge verkleidet. Zwar interessieren sich etliche Männer für Arabella, doch sie ist entschlossen, solange zu wartet, bis „der Richtige“ für sie auftaucht. Als der reiche Provinzadlige Mandryka erscheint, fühlen beide auf Anhieb, dass sie füreinander bestimmt sind. Arabella bittet sich lediglich aus, auf dem anstehenden Faschingsball ihren Junggesellinnen-Abschied feiern zu dürfen. Auf dem Ball verabschiedet sich Arabella von ihren Verehrern. Dort ist auch der junge Offizier Matteo, in den Zdenka heimlich verliebt ist und mit dem sie unter dem Deckmantel ihrer Verkleidung als Junge eine Freundschaft geknüpft hat. Matteo jedoch begehrt Arabella und ist verzweifelt, als er die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe erkennt. Zdenka fasst einen Plan: Sie fingiert einen Brief Arabellas, in dem sie Matteo eine gemeinsame Liebesnacht verspricht. Doch stattdessen will sie selbst im Dunkel des Hotelzimmers auf ihn warten. Mandryka erfährt von Arabellas angeblicher Untreue und begibt sich mit den Ballgästen ins Hotel, um Arabella in flagranti zu überraschen. Die nichtsahnende Arabella ist von Mandrykas Misstrauen zunächst tief gekränkt. Doch als sich die Verwechslung klärt, verzeiht sie ihm. Die beiden werden ein Paar, ebenso wie Zdenka und Matteo.

Die opulente, vielstimmig funkelnde Orchestersprache von Richard Strauss und das historische Wiener Setting haben schon bei der Uraufführung von ARABELLA 1933 dazu geführt, dass diese letzte gemeinsame Arbeit von Strauss und Hugo von Hofmannsthal als operettenhafte Verwechslungskomödie missverstanden wurde. Für Tobias Kratzer, der an der Deutschen Oper Berlin bereits sehr erfolgreich Alexander von Zemlinskys DER ZWERG inszenierte, markiert Strauss’ Oper jedoch die Bruchstelle zweier Weltbilder: Auf der einen Seite das traditionelle Rollenbild von Mann und Frau, wie es sich unter anderem in Arabellas berühmtem Solo: „Und du sollst mein Gebieter sein“ ausdrückt. Auf der anderen Seite steht jedoch eine moderne Vorstellung des gesellschaftlichen Miteinanders, für die beispielsweise Zdenka in ihrem Infragestellen geschlechtlicher Identitäten steht. In seiner Arbeit leuchtet Kratzer diesen Zweispalt in den zahlreichen Charakterporträts der ARABELLA aus und verfolgt das Spannungsverhältnis dieser Rollenverständnisse vom Wien des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. In der Kategorie Raum wurden Manuel Braun, Jonas Dahl und Rainer Sellmaier für diese Produktion mit dem renommierten Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2023 geehrt.

Unter der Stabführung von Sir Donald Runnicles erleben Sie in dieser Aufzeichnung u. a. Albert Pesendorfer, Doris Soffel, Sara Jakubiak, Elena Tsallagova, Russell Braun, Robert Watson, Thomas Blondelle, Kyle Miller, Tyler Zimmerman, Hye-Young Moon, Lexi Hutton, Jörg Schörner u. a. sowie Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin. Es wurden die Vorstellungen am 18. und 23. März 2023 von rbb Kultur und Naxos für diese DVD aufgezeichnet.

Wir danken dem Label Naxos für die großartige Zusammenarbeit der letzten Jahre, die Aufnahmen von DER ZWERG, DAS WUNDER DER HELIANE, FRANCESCA DA RIMINI, DER RING DES NIBELUNGEN, DER SCHATZGRÄBER, DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG sowie ANTIKRIST dokumentieren. Im Laufe des Jahres 2025 erscheinen Richard Strauss‘ ARABELLA und INTERMEZZO.



Einsendeschluss: 22. Dezember 2024. Die Gewinner*innen werden am 23. Dezember 2024 per E-Mail informiert. Die DVDs gehen anschließend auf dem Postweg zu. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.