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Himmel, Heimat, Hölle - Deutsche Oper Berlin

Himmel, Heimat, Hölle

Neuland © Stephan Bögel
 

 

Sie kommen aus Syrien, dem Balkan, Afrika: Geflüchtete, die in Deutschland ein besseres, menschenwürdiges Leben suchen. Ihre Sehnsüchte und Erwartungen bilden den Hintergrund von NEULAND in der Tischlerei, der experimentellen Spielstätte der Deutschen Oper Berlin. Einige werden jetzt sagen: Die Deutsche Oper macht etwas zu Flüchtlingen – nicht gerade besonders originell. Doch es kommt natürlich darauf an, wie man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Und da ist der Ansatz der beiden Regisseure Martin G. Berger und Jonas Egloff durchaus interessant.

Es soll nämlich explizit nicht darum gehen, Flüchtlinge mit ihrer Fluchtgeschichte auszustellen, sie aus der Warte der hier schon lange Lebenden zu betrachten, vielleicht auch zu bedauern, ihnen gute Ratschläge zu geben. Vielmehr gehen Berger und Egloff von der Frage aus, was nach der Ankunft passiert. Wie die neue Gesellschaft konkret aussehen könnte, die unweigerlich durch den Zuzug entstehen wird.

NEULAND ist eine Vision, eine Utopie. Zwei Gruppen – geflüchtete Jugendliche und Jugendliche, die schon länger in Berlin leben – gründen gemeinsam einen neuen Staat. Welche Regeln, Gesetze, Bräuche, Traditionen, Träume, Religionen wird es in ihm geben?

Martin G. Berger und Jonas Egloff kennen sich von der gemeinsamen Arbeit an der Staatsoper Hannover. Die Idee zu NEULAND haben sie Anfang 2015 gemeinsam mit Tamara Schmidt, der Leiterin der Jungen Deutschen Oper, entwickelt. Damals war die Massenmigration zwar schon im Gange, aber ihre ganze Dimension noch nicht absehbar. Das Stück ist also auch eine Antizipation dessen, was dann wenige Monate später real passiert ist.

Wesentliches Element von NEULAND: Die Zuschauer selbst werden die Fremden sein, die Neuankömmlinge, die sich in einer völlig neuen, unverständlichen Welt zurechtfinden müssen. Welcher Darsteller in Berlin geboren wurde oder schon länger hier lebt, wer erst kürzlich durch Flucht hierherkam – das wird äußerlich nicht zu unterscheiden sein und führt zu Verunsicherung, schwankendem Boden. Die Zuschauer werden sich an nichts festhalten können.

„Wir verschränken Installation und klassisches Theater“, erklärt Martin G. Berger. Die Besucher werden durch Räume in Gruppen geführt, die hierarchisch gegliedert sind. Einige kommen in den Genuss einer VIP-Führung mit Live-Übersetzung, andere nur eine Karte in die Hand gedrückt. Ihren Weg müssen sie selbst finden.

50 Jugendliche machen bei der Produktion mit. Zusammengestellt wurde der Cast bei einem Workshop im November, der Kontakt zu den geflüchteten Jugendlichen kam vor allem über Flüchtlingsinitiativen zustande. Die zweite, „Berliner“ Gruppe setzt sich keineswegs homogen aus Deutschen zusammen. Sondern aus Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Austauschschülern, Diplomatenkindern und – ja – auch Sprösslingen des Charlottenburger Bildungsbürgertums. So bunt, wie das Leben in Berlin eben ist.

„Das Stück soll eine Utopie vermitteln“, sagt Tamara Schmidt. „Wie wäre es, wenn Hierarchien gar nicht erst entstehen würden?“ Außerdem ist es ein Appell an jeden Einzelnen: Sich nicht besserwisserisch und voller Überlegenheitsgefühle vor die Flüchtlinge hinzustellen. Sondern in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen, was deren Schicksal mit einem selbst zu tun hat. Sich zu öffnen für Neues.

NEULAND wird an einem Opernhaus inszeniert – da ist es logisch, dass auch Musik eine wichtige Rolle spielt. Wie wird er „klingen“, dieser neue Staat? Komponist Vivan Bhatti weiß es selbst noch nicht genau: „Es ist ein neues Land. Das nehmen wir wörtlich und schauen, was passiert, welche Ideen und Potenziale die Jugendlichen selbst mitbringen. Wie sie Gefühle klanglich ausdrücken werden.“ Die Tischlerei wird sich in einen Tonraum verwandeln, in dem alles zu Musik werden kann: Geräusche, Stimmen, Gesang, Instrumente. Pur oder gesampelt. Als „Rückversicherung“ werden zwei Musiker, Milian Vogel [Bass-Klarinette] und Nikolas Tillmann [E-Gitarre], dafür sorgen, dass alles in [hoffentlich inspirierenden] musikalischen Bahnen verläuft.

Vivan Bhatti arbeitet bei diesem Projekt mit seinem Bruder Ketan zusammen, die beiden entstammen einer indischen Familie und sind in Deutschland – in Bielefeld – aufgewachsen. Ketan hat an der Berliner Universität der Künste Jazz studiert, Vivan klassische Gitarre an der Hochschule für Musik und Theater in München. Bekannt wurden sie durch Christoph Hagels Erfolgsproduktion „Flying Bach“, bei der sie Bachs Präludien und Fugen elektronisch arrangierten und damit eine aufregende Schnittstelle zwischen Barock und Hip-Hop schufen.

 

Kleines Stück Himmel © 2016, Eike Walkenhorst
 

 

Anderes Projekt, völlig anderes Publikum. KLEINES STÜCK HIMMEL richtet sich an sehr junge Zuschauer: solche ab zwei Jahren. Und an ihre Eltern, natürlich. Das Terrain für Theater in diesem frühen Alter ist noch relativ unerforscht. Bringt es überhaupt was, Kleinkinder so einer Inszenierung auszusetzen? Und wenn ja, was? Alles nur vergebliche Liebesmüh’? Zwischen 2006 und 2008 Jahren wagte sich das wissenschaftlich begleitete Forschungsprojekt „Theater von Anfang an“ unter Federführung des Mannheimer Kinder- und Jugendtheaters „Schnawwl“ erstmals ans Thema. Ob aus den Kleinen tatsächlich später große Theatergänger werden, lässt sich wohl erst sagen, wenn die beteiligten Kinder erwachsen geworden sind. Aber das Projekt hat viele Diskussionen ausgelöst – und auch das Interesse von Ania Michaelis an diesen „kleinen, kristallinen Formen“, wie sie sagt, geweckt.

Die Schauspielerin und Regisseurin arbeitete damals am Theater Zinnober in Berlin, das heute Theater o.N. heißt und dessen Leiterin sie schließlich wurde. Danach war sie bis 2015 Oberspielleiterin am Theater junge generation Dresden, jetzt arbeitet sie wieder freischaffend. Und hat sich auf bildhafte, musikalische Stücke für die Allerkleinsten spezialisiert.

Die Story von KLEINES STÜCK HIMMEL: Em und Eff geht es gut. Sie haben alles vorbereitet für einen schönen Tag. Da kommt Pe, der Vogel, und verfängt sich in ihrer Welt. Vielleicht ist er von weit her gekommen. Er stört. Er fasziniert. Und er kann singen. Dann gibt es Streit. Erst als jeder der drei etwas von sich preisgibt, öffnet sich ihr Blick. Füreinander. Etwas beginnt. Vielleicht Freundschaft.

Erzählt ist das in 30 Minuten. Minouche Petrusch wird Em spielen – und der wunderbare, warmherzige Peter Maus Pe. Seit 1974 gehört der beliebte Kammersänger dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin an. Die Musik zu KLEINES STÜCK HIMMEL hat die spanische Komponistin Nuria Núñez Hierro geschrieben, die gerade an der UdK einen Graduiertenstudiengang absolviert. „Sie hat sich bei uns beworben und überzeugt“, sagt Dorothea Hartmann, Leiterin der Tischlerei, die zugleich die Dramaturgie für das Stück übernommen hat. „Nuria Núñez Hierro hat einen ganz natürlichen Zugang zur Welt und zur Musik, sie muss nicht erst einmal bestimmte Reihen in ihrem Kopf sortieren.“ Interpretieren wird das, was Hierro komponiert hat, der Musiker Florian Bergmann an der Bassklarinette. Für ihn dürfte es sehr reizvoll werden, die Kleinen für das seltsame Instrument Bassklarinette zu interessieren, für die Geräusche, die es macht – und sie gleichzeitig nicht mit seiner Lautstärke zu erschrecken.

Die Kulissen werden so flexibel sein, dass sie auch im Theater o.N., das nur rund 60 Plätze hat, aufgebaut werden können. Denn KLEINES STÜCK HIMMEL ist eine Kooperation zwischen der kleinsten und der größten Berliner Bühne. Die Aufmerksamkeitsspanne von Zweijährigen verläuft in Wellen. Ein An- und Abschwellen der Konzentration. Sie schaffen es, dem gerade sich ereignenden Moment seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, eine Fähigkeit, die Erwachsene in der Regel später verlieren. „Zweijährige denken punktuell“, sagt Ania Michaelis, „sie sind Spezialisten in ihrem ganz eigenen Welterfassungsmodus“. Das muss jede Inszenierung für diese Altersgruppe berücksichtigen. Wer für so junge Menschen arbeitet, muss sich nicht nur zutiefst für die Sache interessieren – das muss jeder Künstler. „Er oder sie muss auch in der Lage sein, den Stoff aufs Elementarste herunterzubrechen“, so Michaelis. Und dabei – ganz wichtig – auch die Eltern für diese Form von Theater, für die Geschichte zu interessieren. Fünf- oder Sechsjährige können schon alleine ins Theater gehen. Bei Zweijährigen haben wir es mit einem „Zuschauerteam“ [Michaelis] aus Eltern und Kindern zu tun. Eine im wahrsten Sinne des Wortes Mehrgenerationentheater – oder „Volkstheater im besten Sinne“, wie Ania Michaelis es nennt.

 

 

Chemo Brother © 2016, Ingo Tesch
 

 Flucht und Gründung eines Staates, die Suche nach dem Glück – CHEMO BROTHER, das dritte Jugendprojekt in der Tischlerei widmet sich kaum weniger grundsätzlichen Themenkreisen: Liebe und Krankheit. Regisseurin Marielle Sterra war aufgefallen, dass vor eineinhalb Jahren plötzlich sehr viele Bücher über krebskranke Jugendliche erschienen waren. „Ich habe mich gefragt: Was ist eigentlich mit den Geschwistern? Wie gehen die damit um? Über sie wird viel weniger geschrieben.“ Und so entwickelte Sterra CHEMO BROTHER: Luca freut sich auf sein erstes Mal mit Frida. Dann aber wird bei seinem Bruder Jannek Krebs diagnostiziert. Aus dem erhofften Rendezvous wird erstmal nichts, die nächsten Tagen und Wochen verbringt Luca vor allem bei seinem Bruder im Krankenhaus. Außerdem lastet das schlechte Gewissen auf ihm. Denn Jannek war früher mit Frieda zusammen. Ein heikles Seelengemisch.

CHEMO BROTHER ist monologisch geschrieben. Vor allem Luca, verkörpert von einem Schauspieler, wird man sprechen hören. Um seine Isolation auch visuell auszudrücken, ist er die meiste Zeit räumlich getrennt von den anderen Figuren: Von seiner Mutter, dem Arzt und natürlich Frida [eine gesungene Rolle], mit der er erst am Ende wirklich physisch zusammentreffen wird.

Eleftherios Veniadis hat die Musik dazu geschrieben, interpretieren werden sie Bangin Jung [Klavier] und Alexandros Giovanos [Percussion]. Marielle Sterra, 1988 in Stuttgart geboren, studiert Regie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Das Stück entstand im Rahmen eines Seminars im November 2014, das Dorothea Hartmann, die Leiterin der Tischlerei, gegeben hat. „Ich bot den Studierenden an, neue Formen von Kinder- und Jugendtheater zu entwickeln und in der Tischlerei aufzuführen. Alle wollten. Aber Marielle Sterra wollte sehr.“ Und so bekam sie die Chance. Ausschnitte aus CHEMO BROTHER waren vergangenen Herbst in der Tischlerei im Rahmen der Reihe „Try Out“ zu sehen, damals noch unter dem Titel IRGENDWAS JUCKT, IRGENDWAS BRENNT. Jetzt also die große Premiere. „Marielle Sterra wird ihren Weg gehen“, davon ist Dorothea Hartmann überzeugt. 2014 hat Sterra mit dem Dramaturgen Dennis Depta und der Schauspielerin Friederike Drews das Musiktheaterkollektiv glanz&krawall gegründet, das – nach eigenen Angaben – skurrile Sound- und Bildwelten erschaffen und den Schutt der Rezeptionsgeschichte beiseite räumen will. Das geschieht vor allem an Orten, die eigentlich nicht als Bühne gedacht waren, etwa der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, wo das Kollektiv im Herbst 2015 ORFEO nach Monteverdi spielte – und plötzlich nicht mehr klar war, wer Patient, wer Klinikpersonal und wer Darsteller ist.

Bleibt noch die Frage: Wozu eigentlich das alles? Mit welcher Motivation werden Stücke für Kinder und Jugendliche geschrieben, Castings veranstaltet, Schüler auf die Bühne geholt? Dorothea Hartmann möchte mit einem Missverständnis aufräumen: „Wir tun das nicht, um damit das Publikum von morgen zu generieren.“ Vielmehr geht es nur um das Jetzt, um den Augenblick. Darum, den Kindern und Jugendlichen eine tolle Stunde zu ermöglichen. Eine, die sie erreicht, bewegt, berührt, lachen, weinen und über sich selbst nachdenken lässt. Kinder- und Jugendtheater ist niemals für die Zukunft angelegt, sondern darauf, eine Reihe solcher Momente zu schaffen. Und das wird dann auch, im besten Fall, seinen Niederschlag in der Zukunft finden. Ganz von alleine.