„Ich bin nicht gut in Chinesisch“ - Deutsche Oper Berlin
Von Kai Luehrs-Kaiser
„Ich bin nicht gut in Chinesisch“
Hui He, die Titelheldin in „La Gioconda“, über ihr Leben als einzige weltberühmte Opernsängerin aus China.
„Che Chui“ – mit Krächzlaut und in dieser Reihenfolge –, so lautet der Name der chinesischen Sängerin Hui He, wenn sie ihn selber ausspricht. Hebt sie in Italien den Telefonhörer ab und meldet sich mit den Worten: „Sono Hui“ („Hier ist Hui“), dann versteht man dort: „Sono qui“ („Ich bin hier“). Und antwortet: „Dovè“ („Wo?“). Sagt sie dagegen in Frankreich ihren Vornamen „Hui“ in die Sprechmuschel, so denkt man, sie habe „Oui“ („Ja“) gesagt. Und antwortet: „Quoi?!“ („Was?!“) Oder schlimmer: „Non“. („Nein.“) Hui He ist die erfolgreichste, nein: einzig berühmte chinesische Opernsängerin der Gegenwart. Und das ist, wie sie erzählte, nicht immer ganz einfach.
Frau He, hat Ihr Name im Chinesischen eine Bedeutung?
Hui He: Mein Nachname „He“ bedeutet Frieden. „Hui“ heißt Intelligenz.
Sie sind die im Grunde einzige chinesische Sängerin, die es bis ganz nach oben im internationalen Opern-Business geschafft hat. Gibt es wirklich keine anderen?
Ich glaube, dass ich zurzeit mehr oder weniger die Einzige bin. Das liegt nicht daran, dass es keine anderen, sehr guten chinesischen Sänger gäbe. Im Gegenteil, unsere Hochschulen in China sind voll davon. Viele der Kommilitonen, mit denen ich studiert habe, unterrichten heute, zum Teil auch an Hochschulen. Oder sie geben Konzerte. Große Opern-Karrieren hat es bislang kaum gegeben. Warum? An den Stimmen liegt es nicht, sondern daran, dass jemand fehlt, der die Sänger in der Kultur des Heimatlandes der Oper, Italien, unterrichtet. Auch die Sprache ist ein Problem.
Wie ist es Ihnen gelungen, eine Ausnahme zu bilden?
Ich kam zeitig genug, schon 1999, nach Italien, wo ich drei Jahre später debütierte und bis heute lebe. Die technische Basis des Singens hatte ich in China gelernt. Das Repertoire erarbeitete ich mir in Italien. Inzwischen habe ich mir eine sichere Stellung aufgebaut. An der Mailänder Scala war ich die erste und bislang einzige Sängerin aus Asien, die eingeladen wurde, Tosca zu singen. An der Arena in Verona – der Stadt, in der ich wohne – bin ich seit 2005 jeden Sommer aufgetreten. In all den großen Partien, auf die ich mich spezialisiert habe.
Wie kam es, dass das strenge italienische Publikum, das sogar Super-Stars gerne ausbuht, Sie akzeptiert?
Nachdem ich 2000 den Operalia-Wettbewerb von Placido Domingo gewonnen hatte, bekam ich Gelegenheit, in Parma zu debütieren – ohne ein Wort Italienisch zu können. Also habe ich mit Wörterbuch jede einzelne Bedeutung nachgeschaut. Vieles Weitere hat mir damals die Sängerin Raina Kabaivanska beigebracht. Ich bin stolz, denn man muss wissen, dass es sich beim Teatro Regio in Parma um das anerkannt schwierigste Haus in Italien handelt. Man ist dort der Meinung, auf Verdi, der unweit in Busseto geboren wurde, eine Art Hausrecht zu haben. Das Publikum buht sofort. Das ist mir erspart geblieben.
Glauben Sie, dass Ihre Stimme einen Klang hat, den man als typisch chinesisch oder asiatisch beschreiben könnte?
Ich bin mir sicher, dass meine Stimme einen für Asiaten untypischen Klang hat. Chinesen verfügen normalerweise über eine hellere, leichtere, auch glänzendere Stimme als ich. Meine Stimme ist breit, groß und dunkler in der Farbe. Ich habe auch einen Beweis dafür, dass ich ein bisschen anders bin. Immer, wenn ich in meiner Heimat chinesische Lieder singe, zum Beispiel beim Neujahrsfest, sagt man mir, dass ich darin gar nicht so besonders gut bin. Meine Textverständlichkeit im Chinesischen lässt zu wünschen übrig!
Wie ist das möglich?
Es liegt wohl daran, dass ich inzwischen zu europäisch singe. Ich muss selber lachen darüber, aber es stimmt: Ich bin eine der bekanntesten chinesischen Sängerinnen. Aber im Chinesischen bin ich schwach.
Als Sie als junges Mädchen zu singen begannen, dürften Sie aber hauptsächlich chinesische Musik gesungen haben, oder?
Das stimmt, am Radio habe ich ständig chinesische Pop-Songs nachgesungen. Später dann italienische Lieder und Canzonen. Meine erste Oper sang ich, als ich bereits 26 Jahre alt war. Es war „Aida“ in Shanghai, zur Eröffnung des Opernhauses. Ich war sehr schüchtern damals. Einem Gesangslehrer, der zufällig der Nachbar meiner Mathematik-Lehrerin war, hatte ich kurz vor dem Anmeldeschluss der Hochschule vorgesungen. Erst sagte er: „Du musst dich zunächst ein Jahr vorbereiten!“ Nachdem er mich gehört hatte, meinte er: „Du kannst sofort anfangen.“
Haben Sie sich beim Singen an CDs aus dem Westen orientiert?
Ja, etwa an „La Bohème“ mit Mirella Freni. Ich brach gleich in Tränen aus. Auch Maria Callas und Montserrat Caballé waren ganz wichtige Orientierungspunkte.
Sie singen hauptsächlich die ganz schweren schweren Partien des italienischen Fachs, also Aida, Leonora, Tosca und La Gioconda. Entspricht das Ihrem Wunsch?
Nein. Es liegt daran, dass mir immer nur diese schweren Rollen angeboten werden. Ich würde sehr gern leichteres Repertoire singen, zum Beispiel Belcanto-Rollen von Bellini oder Donizetti. Ich sollte es sogar, um die Stimme geschmeidig und flexibel zu erhalten. Aber es ist fast unmöglich, das durchzusetzen, sofern man nicht fest an einem Theater ist. Also bleibe ich immer bei den schweren Rollen, mit denen ich berühmt geworden bin. Ich mache es gern. Es ist das, was ich sehr gut mache. Haben Sie nie über ein festes Engagement nachgedacht, in dem Sie häufiger die Rollen wechseln könnten? Doch, aber das Problem besteht darin, dass ich zu spät, nämlich erst mit 28 Jahren, in Europa angefangen habe. Ich wusste immer, dass mir die Zeit fehlt, in der ich mit dem leichten Repertoire hätte anfangen können.
Glauben Sie, dass sich Ihre Karriere anders entwickelt hätte, wenn Sie in Europa aufgewachsen wären?
Ganz gewiss! Hätte ich früher besser Italienisch gekonnt, so hätte ich rechtzeitig genug Mozart singen können. Jetzt kriege ich allerdings oft Angebote für das deutsche Fach, zum Beispiel für Senta im „Fliegenden Holländer“ und sogar für Brünnhilde.
Rollen, die Sie vielleicht besser lassen sollten, oder?
Ich habe für jede Rolle eine eigene Stimmfarbe. Aber Wagner-Rollen habe ich tatsächlich bisher immer abgelehnt.
Welche Rollen liegen noch vor Ihnen?
Ich hoffe: „Norma“, voraussichtlich 2015. Bei Verdi können noch Elisabetta im „Don Carlo“, Elvira in „Ernani“ und Leonora in „La Forza del Destino“ kommen.
Glauben Sie, dass das westliche Klassik-System noch immer Berührungs-Schwierigkeiten mit asiatischen Stimmen hat?
Ja, das glaube ich definitiv. Es liegt an unserem Aussehen. Auch vielleicht daran, dass unsere Art der Darstellung eine andere ist.
Das hat man früher auch gegen Leontyne Price vorgebracht!
Ich kann nur sagen, dass ich derlei nach Kräften ignoriert habe. Ich brenne für die Oper und glaube, dass das Singen der einzige Grund ist, für den ich auf die Welt gekommen bin. Ohne Gesang wäre ich tot.
Bei der Berliner „La Gioconda“ treten Sie in einer sehr traditionellen Inszenierung auf. Ganz nach Ihrem Geschmack?
Es gibt Werke, besonders in der italienischen Oper, die eine traditionelle Ausstattung gut vertragen. Verallgemeinern möchte ich aber nichts, dafür gibt es zu viele moderne Regisseure, die sehr schöne Inszenierungen machen. Zum Beispiel Robert Wilson und Damiano Michieletto. Seit ich viel in Deutschland gearbeitet habe, weiß ich, wie sehr das Publikum auch moderne Inszenierungen schätzt. Fantasie und Imagination entscheiden. Und der „bel momento“, der schöne Augenblick.
Aus: Beilage zur Berliner Morgenpost, Januar 2014