Rausch des Überflusses - Deutsche Oper Berlin
Was mich bewegt
Rausch des Überflusses
Wie alle Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts träumte auch Verdi von der Grand Opéra. Chefdramaturg Jörg Königsdorf erklärt, warum diese Kunstform auch heute noch begeistern kann.
Von allem das Beste – wollte man versuchen, das Erfolgsrezept der Grand Opéra in einem Satz auszudrücken, müsste die Formel genauso lauten. Und eben dieser Hang zum Spektakulären macht die Faszinationskraft dieser Kunstform aus, die über Generationen hinweg Komponisten und Publikum in Atem hielt. Jede Aufführung einer Grand Opéra ist ein großes Fest, bei dem die besten Sänger*innen und Tänzer*innen, das beste Orchester und die modernste Technik zusammenkommen, um große Geschichten zu erzählen, die Sinne, Gefühl und Kopf gleichermaßen ansprechen. Stoffe, die zurück in die Geschichte blicken, dabei aber die Gegenwart im Auge haben, die Volksmassen auf die Bühne bringen, aber auch den Einzelnen mit seiner Sehnsucht nach privatem Glück inmitten von Aufruhr und Unterdrückung zeigen. Kein Wunder, dass auch Giuseppe Verdi der Verführungskraft dieser Idee erlegen ist und sich die Grand Opéra zu eigen gemacht hat: Später mit seinem DON CARLO, doch zuerst mit LES VÊPRES SICILIENNES. Und zielsicher griff er für seine erste französische Oper nach dem Stoff mit dem größtmöglichem Aktualitätspotenzial – dem Aufstand der Sizilianer gegen die französische Besatzung 1282, bei der wohl alle Zeitgenossen Verdis an die zeitgleich stattfindende Expansion der Franzosen in Algerien dachten. Es ist kein Wunder, dass die Grand-Opéra-Mixtur aus Virtuosität, Show und Politik gerade in Paris entstand, wo der Bezug zwischen Kunst und Öffentlichkeit immer besonders eng war. Aus dem gleichen Grund gehört die Grand Opéra auch nach Berlin – mit ihren Aufführungen von Hector Berlioz’ LES TROYENS, aber vor allem auch mit ihrem Meyerbeer-Zyklus hat die Deutsche Oper in den letzten Jahren gezeigt, dass diese schillernde Kunstform auch im 21. Jahrhundert eine enorme Vitalität entfalten kann und dass ihre Themen nach wie vor unsere sind.