Im Rhythmus der Primzahlen - Deutsche Oper Berlin
Im Rhythmus der Primzahlen
Der Mathematiker Özgür Kesim erklärt im Tischlereikonzert „Zwischen Spiel und Chaos“, was Musik und Mathematik miteinander zu tun haben.
Özgür Kesim ist studierter Mathematiker, praktizierender IT-Berater und passionierter Laien-Musiker. Sein familiäres Umfeld voller professioneller Musiker, Dirigenten und Komponisten gibt regelmäßig Anlass zu Diskursen über Mathematik und Musik.
Herr Kesim, bei Kindern wird zwischen musischer und mathematischer Begabung unterschieden. Liegen Musik und Mathematik wirklich so weit auseinander?
Nein, schon die Biografien bekannter Persönlichkeiten legen das Gegenteil nahe. Einstein zum Beispiel hatte eine starke musikalische Affinität, und Komponisten wie Bach haben Werke mit strengen, nahezu mathematischen Strukturmerkmalen komponiert. Und ich habe in meinem Studium etliche Mathematiker kennen gelernt, die begeisterte Hobbymusiker waren.
Ich glaube, dass das Betreiben von Mathematik und das Komponieren von Musik teilweise die gleichen Areale im Hirn ansprechen. Auf der praktischen Ebene sehen wir übrigens, dass man mathematische und musikalische Fragen gar nicht voneinander trennen kann. Zum Beispiel scheint die Frage, ob ich anhand des Klangs einer Trommel ihre Form bestimmen kann, erstmal eine musikalische zu sein. Tatsächlich ist das Problem aber ein mathematisches, nämlich, ob eine Kugel und ein Ring unterschiedliche Schwingungen erzeugen.
Beim Musikmachen fängt man in der Regel mit Zählen an und hofft irgendwann so weit zu kommen, dass man die numerische Grundstruktur vergisst. Kommt auch in der Mathematik irgendwann der Moment, in dem die Zahlen zu tanzen beginnen?
Man muss da glaube ich erst präzisieren, welche Mathematik man meint. Wenn es nur ums Rechnen geht: Das ist ein Automatismus, den man mit dem Üben von Tonleitern vergleichen kann. Anders ist es bei Mathematik als Forschung: Dort wo es um das Entwickeln von Ideen und Problemen geht, kommen auch beim Mathematiker empathische Gefühlsprozesse ins Spiel, da braucht man Intuition für Lösungsansätze. Das ist dann dem Komponieren als Entwickeln von Ideen innerhalb eines festen Regelwerks durchaus verwandt. Übrigens hat Iannis Xenakis, von dem zwei Werke auf dem Programm des Tischlereikonzerts stehen, diesen Zusammenhang in seinen Abhandlungen zur Musik auch ganz direkt benannt.
Aber Musik wird erst spannend, wenn Sie gegen Regeln verstößt, wenn ein Werk plötzlich eine unerwartete Wendung nimmt.
Natürlich, aber um den Verstoß festzustellen, braucht es erst einmal die Etablierung der Regeln. Die Musik von Joseph Haydn ist ein gutes Beispiel: Sie scheint sehr klaren Regeln zu folgen, aber dennoch ist jedes Werk anders. Aber tatsächlich sind Abweichungen natürlich auch nur in einem bestimmten Rahmen möglich, Haydn bleibt immer Haydn. Deshalb können wir auch alle Musik aus einer rein statistischen Warte betrachten und erstmal feststellen, welche Töne in welcher Länger aufeinander folgen und so weiter.
Um die „Unvollendete“ auf der Basis statistischer Wahrscheinlichkeit zu vollenden?
Zum Beispiel. Oder auch um festzustellen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Violinsonate tatsächlich von Bach ist. Das kann man natürlich auch mit anderen Mitteln versuchen, aber ein interessantes Hilfsmittel ist die Statistik allemal.
Gibt es in der Mathematik bestimmte Grundmuster, die als Basis für Komposition taugen? Den Rhythmus der Primzahlen zum Beispiel?
Tatsächlich haben einige mathematische Phänomene wie die Fibonacci-Zahlen oder der Goldene Schnitt in den letzten Jahren Komponisten stark interessiert. Vielleicht weil sie – wie auch Xenakis – auf der Suche nach einem Ordnungssystem für ihre Klangsprache waren. Und natürlich ist auch die Reihe der Primzahlen in musikalischer Hinsicht faszinierend: Einerseits ist sie unregelmäßig, besitzt aber auch eine gewisse musikalische Grundschwingung. Zur Beschreibung dieser Phänomene verwenden Mathematiker übrigens oft musikalische Begriffe.
Was hören Mathematiker eigentlich am liebsten?
Da gibt es alles: Von denjenigen, die gar keine Musik hören, bis zu denen, die ihr eigenes Streichquartett haben. Und hier in Berlin gibt es sogar einen Mathe-Prof, der als DJ arbeitet.