Die sieben Fragen stellte Ralf Grauel

In den Mühlen der Macht

Die Verdi-Oper SIMON BOCCANEGRA erzählt von der moralischen Zerstörung eines politischen Talents. Warum gehen so viele Menschen zugrunde, sobald sie Verantwortung übernehmen und ins öffentliche Amt eintreten? Ein Gespräch mit Politikerin Christa Nickels

Christa Nickels, warum ist Politik das ewig schmutzige Geschäft?
Weil in der Politik das Konkurrieren systemimmanent ist. Jede Position, die jemand erlangt, ist für andere – die an dieser Stelle gerne wirken würden – obsolet. Damit können viele schlecht umgehen. Hinzu kommt, dass es oft nicht um beste Befähigung geht, sondern um größtmögliche Nähe und Nibelungentreue zu den Protagonist*innen der Führungszirkel. Hier kommt es oft zu klandestinen Absprachen und Postengeschacher, die demokratische Abstimmungsprozesse unterlaufen und ad absurdum führen.

Wie verdirbt Politik den Charakter?
Wenn man die Fähigkeit aufgibt, das Gute auch beim politischen Widerpart zu erkennen und die eigene Meinung absolut setzt, das Kämpfen „mit offenem Visier“ aufgibt, stattdessen Intrigen schmiedet, Fallen stellt, den Gegner diffamiert, die Öffentlichkeit täuscht und Transparenz verhindert. Wenn man Berufspolitik glorifiziert und außerparteiliche Akteur*innen geringschätzt und aufhört, Politik als Dienstleitung für die demokratische Gesellschaft auszuüben, sondern als machtpolitisches Theater auf großer Bühne begreift.

Was ist eigentlich Macht? Was ist ihre dunkle Seite?
Macht ist Wirkmächtigkeit: Die Möglichkeit zu haben, Grundlagen und Bedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens aktiv mitzugestalten und mitzuentscheiden. Eine tragende Säule unserer Demokratie ist der Grundsatz „Alle Macht geht vom Volke aus.“ Die dunkle Seite der Macht schlägt auf politische Akteure zurück, wenn sie diesen Grundsatz vergessen und das Ausüben von Macht absolut setzen.

Haben Sie jemals, wie man sagt, mit dem Teufel paktiert?
Ich war und bin begeistert von demokratischer Beteiligung. Als ich die in den 1970er Jahren in den Parteien nicht fand, habe ich mich auf die Suche gemacht und wurde so zur Mitbegründerin der Grünen. Das war anstrengend, arbeitsintensiv, chaotisch – aber auch prickelnd, lebendig, befriedigend, Teil eines Prozesses zu sein, der wirkmächtig war. Natürlich schlug uns viel Häme bis geifernde Herabwürdigung entgegen. Dem „Teufel“ bin ich dabei nicht begegnet.

Wie hat sich die Politik seitdem verändert?
Studenten-, Frauen, Umwelt-, Friedens- und Demokratiebewegung und die Grüne Partei haben unsere parlamentarische Demokratie revitalisiert. Über Jahrzehnte verdrängte Themen wurden auf die Agenda gesetzt: die vergessenen Opfer der NS-Diktatur, die Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen, das Artensterben, die dramatische Gefährdung des Weltfriedens, die Ausbeutung der Länder des Südens, soziale Ungleichheit, die systemische Benachteiligung und Ausgrenzung von Frauen…

Wie haben die Frauen ihrer Generation die Politik verändert?
Wir standen auf den Schultern streitbarer Frauen, den Suffragetten, den Müttern des Grundgesetzes und der Frauenbewegung. Ein Durchbruch kam 1983 mit der fast paritätisch besetzten Bundestagsfraktion der Grünen. Die Tatsache, dass erstmals die Hälfte einer Fraktion aus Frauen bestand, führte dazu, dass die Erfahrungen und Anliegen von Frauen mit bislang nicht gekannter Deutlichkeit auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Allen Parteien hierzulande ist klar: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Die Situation von Frauen in einem Land ist entscheidender Gradmesser für das Wohlergehen seiner Menschen.

Wird Politik weniger verdorben, wenn mehr Frau im Apparat sind?
Von dem Begriff „unverdorben“ halte ich nichts. Menschliches Handeln bewegt sich immer in „gebrochenen“ Strukturen, natürlich sind Frauen nicht per se die besseren Menschen. Allerdings machen sie die Hälfte der Bevölkerung aus. Demnach kann Politik nicht glaubwürdig sein, wenn sie nicht in allen Bereichen vertreten sind, ihre Erfahrungen einbringen und mitgestalten. Also ja: Die Hälfte der Gestaltungsmacht für Frauen ist ein Grundkriterium für glaubwürdige Politik.

 

Christa Nickels, seit 1979 Gründungsmitglied der Grünen in NRW, war fünf Wahlperioden Abgeordnete im Bundestag, Vorsitzende zweier Fachausschüsse, parlamentarische Staatssekretärin und Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Sie ist widerständige Reformkatholikin sowie leidenschaftliche Oma, Gärtnerin und Leseratte

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01
DEZ

Adventskalender im Foyer: Das 1. Fensterchen

Heute im Foyer: „An American Christmas“
Lieblingslieder aus Nord- und Südamerika
mit Julie Wyma, Valeria Delmé und Jamison Livsey
17.00 Uhr / Rang-Foyer rechts
Dauer: ca. 25 Minuten / Eintritt frei


Vom frostigen Norden Alaskas bis zum südlichsten Zipfel Chiles, von Buenos Aires bis New York City – die Adventszeit wird auf dem gesamten amerikanischen Doppelkontinent gefeiert. Doch gibt es gewaltige Unterschiede, wie das Weihnachtsfest wo begangen wird. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Musik wieder, welche den Feierlichkeiten vorangehen und diese begleiten. Während der argentinische Komponist Ariel Ramírez in seiner Kantate „Navidad Nuestra“ (deutsch: „Unsere Weihnacht“) die schwungvollen Rhythmen südamerikanischer Tänze aufgreift, gelingt es Songs wie „White Christmas“ oder „I’ll Be Home for Christmas“ auf einzigartige Weise das Besinnliche ins Populäre zu übertragen. Begleiten Sie die Sopranistinnen Julie Wyma und Valeria Delmé sowie den Pianisten Jamison Livsey auf eine Reise durch die musikalischen Gefilde jenseits des Atlantiks.

Julie Wyma stammt aus den USA und studierte an den Universitäten in Indiana, Missouri und Arizona. Zahlreiche Auftritte auf der Opern- und Konzertbühne führten sie durch die USA und Europa. Seit der Spielzeit 2021/22 ist sie als 1. Sopran Mitglied des Chores der Deutschen Oper Berlin, wo sie mit ihren Kolleg*innen nicht nur in den großen Choropern singt, sondern darüber hinaus auch als La Conversa in SUOR ANGELICA eine solistische Partie übernimmt. Neben ihrer Tätigkeit als Sängerin ist Julie Wyma auch als Gesangslehrerin, Kostümbildnerin und Regisseurin aktiv.

Valeria Delmé wurde in Buenos Aires geboren und sammelte bereits früh erste musikalische Erfahrungen u. a. als Solistin im Kinderchor des Teatro Colón. Es folgten weitere Opernauftritte auf verschiedenen Bühnen in Argentinien sowie eine Ausbildung am Conservatorio Superior de Música „Manuel de Falla“, ehe sie im Jahr 2017 begann, regelmäßig in Deutschland zu konzertieren. Inzwischen singt Valeria Delmé als 2. Sopran im Chor der Deutschen Oper Berlin.

Der Pianist und Dirigent Jamison Livsey studierte an der University of Michigan in Ann Arbor, Michigan. 2016 dirigierte er eine Premiere von TURN OF THE SCREW in Tel Aviv. Er hat als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung an vielen Opernhäusern gearbeitet, u. a. an der Minnesota Opera, der Chautauqua Opera, der Sarasota Opera, der Opera Cleveland, der Anchorage Opera, der Opera in Williamsburg, der Toledo Opera, beim Sugar Creek Symphony and Song, im Rahmen des Pine Mountain Music Festival sowie bei der Opera North. Bei diesen Opernensembles gastierte er auch als Cembalist und Orchesterpianist mit einem Repertoire von Monteverdi über Rossini bis zur Gegenwart. Er ist auch als Liedbegleiter tätig, u. a. für Vivica Genaux. An der Deutschen Oper Berlin wirkt er als Korrepetitor im Chor.