Italienische Oper im Erbgut - Deutsche Oper Berlin
Von Martina Helmig
Italienische Oper im Erbgut
„Verdi hat sein Leben lang experimentiert. Ihm hätte das Raumkonzept unserer ‚Aida‘ bestimmt gut gefallen“, meint Andrea Battistoni. Auch der junge Dirigent ist neugierig und offen für neue Erfahrungen. „Die Zuhörer werden Verdis Oper ebenfalls ganz anders erleben. Wenn sie direkt neben den Sängern sitzen, spüren sie die musikalische Energie viel direkter.“ Der italienische Dirigent gehört zu den großen Nachwuchshoffnungen. Mit 24 Jahren war er der Jüngste, der jemals an der Mailänder Scala engagiert wurde. Heute, mit noch immer erst 28, ist er Erster Gastdirigent in Genua und Tokio. An der Deutschen Oper Berlin hat er 2013 die Premiere von „Nabucco“ geleitet.
Battistoni stammt aus Verona, und schon als kleines Kind haben ihn seine Eltern zu den Open-Air. Aufführungen in die legendäre Arena di Verona mitgenommen. Eine Oper wie „Aida“, die dort seit 1913 jeden Sommer gespielt wird, steckt also quasi in seiner DNA. Seit fünf Jahren dirigiert er selbst in der Arena di Verona, im vergangenen Sommer erstmals auch „Aida“. „Diese Oper ist für mich mit vielen großartigen Erinnerungen und Gefühlen verbunden. Als Dirigent liegt mir daran, die große Spannweite zwischen den intimen, lyrischen Momenten und den kraftvollen Massenszenen herauszuarbeiten.“
Battistoni betrachtet sich als musikalischen Spätzünder. Eigentlich wollte er gern Schriftsteller werden. Doch seine Mutter, selbst Klavierlehrerin, legte viel Wert auf die musikalische Bildung ihres Sohns. Ihr zuliebe lernte er Cello. Das Üben allein zu Hause lag ihm zwar gar nicht, aber dann suchte das Orchester des Konservatoriums einen Cellisten, und der 14-Jährige meldete sich. Die erste Ensembleprobe wurde zum Schlüsselerlebnis. „Vom ersten Ton an realisierte ich, dass diese Erfahrung mein Leben verändern würde“, erinnert er sich. Der Klang des Orchesters faszinierte ihn. „Diesen wunderbaren Apparat mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten zu leiten, wurde mehr und mehr mein Ziel.“
Heute ist er als Dirigent auf der ganzen Welt gefragt, hat in Basel, St. Petersburg und Stockholm am Pult gestanden und das neue Opernhaus in Oman eröffnet. Daneben komponiert er Musikstücke mit so sprechenden Titeln wie „Der verliebte Teufel“, „Der Schamane“ oder „Tarot-Symphonie“. „Ich reise viel und finde im Flugzeug und im Hotel Zeit, komponierend nach meinem persönlichen musikalischen Ausdruck zu suchen“, erklärt Battistoni.
Der junge Künstler hat viel Energie. Er hat auch ein Buch geschrieben, das Jugendliche motivieren soll, klassische Musik und Oper für sich zu entdecken. „Wenn wir jüngere Menschen erreichen wollen, sollten wir unsere Konzertrituale überdenken. Warum benehmen wir uns heute im Konzertsaal noch immer so wie im 19. Jahrhundert?“ fragt Andrea Battistoni, der gern neue Konzertformen ausprobiert und von der Bühne aus durchaus auch mit seinen Zuhörern spricht. „Ich versuche sie neugierig zu machen, gebe ihnen Erklärungen und frage hinterher nach ihren Reaktionen.“ Die Qualität der Aufführungen ist für ihn nicht verhandelbar, alles andere schon.
Battistonis Terminkalender ist gut gefüllt. In dieser Spielzeit gibt er sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper München und gastiert erstmals in Australien. An der Deutschen Oper Berlin dirigiert er im Dezember „La Bohème“ und im März „Rigoletto“. Im italienischen Repertoire fühlt er sich ganz und gar zu Hause. „An der Deutschen Oper herrschen für mich die idealen Bedingungen, um kreativ zu werden“, lobt der junge Dirigent. „Ich möchte nicht einfach nur italienische Opern dirigieren, sondern auch italienische Klangwelten, Traditionen und Lebensart mit nach Berlin bringen.“
Aus dem Opernjournal November 2015 der Berliner Morgenpost.