Mein Seelenort ... Annabelle Mandeng

Annabelle Mandeng ist Schauspielerin und Moderatorin. In Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL spielt sie Bassa Selim. Hier erzählt sie, wie ein Basketball auf die Opernbühne kam

Die Entführung aus dem Serail
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Die Entführung aus dem Serail
Deutsches Singspiel in drei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart; Text nach Christoph Friedrich Bretzner von Johann Gottlieb Stephanie d. J., bearbeitet von Rodrigo García
Musikalische Leitung: Daniel Carter
Inszenierung: Rodrigo García
Mit Annabelle Mandeng, Flurina Stucki, Georgina Melville, Michael Kim, Matthew Grills, Patrick Guetti u. a.
7., 20., 25. November 2021

Mein Seelenort befindet sich in meinem Kopf. Um dorthin zu gelangen, treibe ich Sport, und zwar draußen. Beim Joggen (oder auch beim Skifahren) geht es darum, auf die Umgebung und den eigenen Körper zu achten. Ich muss mich konzentrieren, um mich nicht zu verletzen. Und diese Konzentration führt mich tief in meinen Körper.

Mein Freund hat mir mal ein Bild geschenkt, einen kleinen Comic, auf dem zwei Männchen einander gegenüberstehen. Aus dem Kopf des einen flattern bunte, ineinander verknotete Linien in die Höhe. „Auweia, was ist das denn?“, fragt das eine Männchen und das andere antwortet: „Ach, das sind nur meine Gedanken.“ Dafür brauche ich den Sport. Meine Gedanken sind ständig in Bewegung und um abzuschalten, brauche ich diese Mischung aus Spiel und Belastung. Wenn alles stimmt, dann lass ich los.

Annabelle Mandeng beim Sport im Park am Gleisdreieck. Vier bis sechs Mal in der Woche fordert sie ihren Körper – um ihren Geist zur Ruhe zu bringen © Jonas Holthaus
 

Vier bis sechs Mal die Woche gehe ich laufen oder mache Belastungsübungen zuhause. Lustigerweise trage ich dabei fast identische Outfits wie die Figur, die ich an der Deutschen Oper Berlin spiele. In DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL spiele ich Bassa Selim, den Herrscher, in dessen Harem Konstanze mitsamt ihrer Zofe und einem Diener festgehalten wird. Regisseur Rodrigo García hat die Figur als Frau angelegt, ich spiele also eine Mischung aus Supersportlerin und Drogenbaronin. Ich kann mich noch gut an die lebendigen Publikumsreaktionen 2016 erinnern, die Inszenierung war durchaus umstritten. Ich kann das gut verstehen. Ich glaube, ein Teil des Publikums konnte die Bilder, die García geschaffen hat, gar nicht auslesen: Ihnen fehlten die Referenzen. Das muss irritierend gewesen sein.

Es gibt da zum Beispiel eine Szene, wo Haremswächter Osmin die Zofe Blonde umwirbt, wieder vergeblich. Die beiden stecken ihre Köpfe durch eine Wand und finden sich wieder in den Konturen zweier Figuren aus der Cartoonwelt von Warner Bros.: Kojote und Roadrunner. Ich fand die Idee sofort genial, auch der Kojote verfolgt den Roadrunner ein Leben lang – und kriegt ihn nie. Nach der Premiere war ich überrascht: Kaum jemand, den ich sprach, hatte den Verweis verstanden. Die gesamte Oper ist wie ein Comicstrip, die Szenen sind kräftig, prägnant. Aber zueinander verhalten sie sich extrem unterschiedlich – das Ganze wirkt also wie drei Comics in einem. In sich jedoch sind die Szenen völlig schlüssig. Sogar ohne Musik, das fiel mir schon bei den Proben auf, versteht man sofort, was passiert – und bei Opern ist das ja nicht immer selbstverständlich. Was mir noch auffiel, war die Arbeitsweise von García. Er kommt vom Schauspiel und hat viel ausprobiert. Für die Sänger, die aus musikalischen Gründen Verlässlichkeit brauchen, war das anstrengend. Ich fand aber auch die Versuche stets plausibel, ich kenne das vom Theater.

Eines Morgens standen wir auf der Bühne der Oper, ein beeindruckender, schwarzer Kubus, nach hinten, zu den Seiten, nach oben hin offen – überall Schwärze, Tiefe, Möglichkeiten. Es ging um die Haremsszene, wo ich Konstanze verführen soll. Das Bühnenbild war schon fertig, blaue, wolkige Polster, das Ganze sollte nämlich einen Swimmingpool darstellen. Irgendwann kam Rodrigo auf mich zu, kniff die Augen zusammen und fragte: „Spielst du Basketball?“

Seit ich drei Jahre alt bin und meine Mutter mich in einem Verein angemeldet hat, treibe ich Sport. Mein Vater war Wirtschaftswissenschaftler aus Kamerun, meine Mutter hat als Studienrätin gearbeitet, wir waren oft für Jahre im Ausland, sie hat als Expertin unterschiedliche Projekte betreut. Die drei Jahre vor meinem Abitur wohnten wir in Lahore, Pakistan. Dort besuchte ich die internationale US-amerikanische Highschool.

Ich war im Volleyballteam, im Feldhockeyteam, im Basketballteam. Überall war ich Captain. Meisterschaften spielten wir gegen die US-Schulen aus Delhi, Karatschi, Islamabad und Quetta. „Ja“, sagte ich auf Garcías Frage, „Basketball? Geht in Ordnung.“ Ab dem nächsten Tag haben wir die neue Szene entwickelt, bei der Bassa Selim die Konstanze umtanzt, umspielt, umdribbelt. Natürlich kommt mir meine Fitness zugute, die Koordination zwischen Ball, Bewegung und Dialog ist tricky. Wenn Sie mal drauf achten: Ich dribble den Ball nur zwei Mal, denn das ist sehr laut und riskant, daher spielt sich das meiste in der Luft ab, ich jongliere, lasse den Ball um meine Hüften kreisen – eine kluge Idee von Donald Runnicles, dem Dirigenten.

Seit sie drei Jahre alt ist, treibt Annabelle Mandeng Sport: Das kommt ihr auch auf der Opernbühne zu Gute – als Bassa Selim etwa spielt sie Basketball © Jonas Holthaus
 

Ich mag meine Rolle. Bassa Selim ist die einzige Figur, die eine Wandlung durchlebt. Alle anderen wollen stets dasselbe und die Hälfte der Figuren bekommt, was sie ersehnt. Bassa Selim aber verzichtet. Und so kommt am Ende das ganze Stück zur Ruhe, bei diesem Schlussmonolog. Bassa Selim erkennt, sie wird nie das Herz von Konstanze gewinnen. Dann lässt sie los. Und kommt an – bei sich, in der Welt. Alles passt.

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