Ersan Mondtag … Mein Seelenort - Deutsche Oper Berlin

Ersan Mondtag … Mein Seelenort

Ersan Mondtag inszeniert an der Deutschen Oper Berlin die Oper ANTIKRIST. Im Volkspark Hasenheide spaziert der Regisseur durch seine Kreuzberger Vergangenheit

Die Hasenheide ist der einzige Ort zwischen Kreuzberg und Neukölln, der ein bisschen idyllisch ist. Als Kind war ich oft hier, jedes Jahr im Mai bin ich hier mit meinen Eltern auf den Rummel gegangen, zu den Neuköllner Maientagen. Ich habe die Geisterbahn geliebt und später, als ich die nicht mehr so gruselig fand, bin ich oft mit dem „Melodie Star“ gefahren. Mit dem fährt man immer im Kreis, und hoch und runter. Mittlerweile gibt es gegen den Rummel Beschwerden von zugezogenen Anwohnern; und es gibt sogar Petitionen. Das ist doch verrückt!

Wir wohnten in der Zossener Straße 11, nur zwei U-Bahn-Stationen vom Park entfernt, meistens bin ich mit dem Fahrrad hierhergefahren. Mit meiner Oma war ich oft im Rosengarten, anschließend lud sie mich am Imbiss auf eine Cola ein. Und da hinten, wo der geteerte Weg durch ein Tal führt, bin ich mit dem Skateboard runtergefahren und natürlich auch mit dem Fahrrad. Von oben hat man einen guten Blick auf den Fernsehturm am Alexanderplatz – den Ostberliner Fernsehturm aus dem Westteil zu sehen, war als Kind nichts Besonderes, wir konnten den von unserem Balkon in der Zossener auch sehen. Ich bin 1987 geboren, ich kann mich an die geteilte Stadt also kaum erinnern.

Später, als Jugendlicher, habe ich in der Hasenheide mit meinen Freunden gekifft, man kann ja überall Gras kaufen. Im Sommer haben wir die Nächte durchgefeiert, getanzt, gechillt. Nach Partys in Clubs sind wir frühmorgens auf Ecstasy durch den Park gelaufen, manchmal haben wir uns da hinten, am Rixdorfer Teich, auf die Bänke gesetzt und die Schafe und die Schwäne beobachtet, die am Wasser wohnen. Auf der Kreuzberger Seite gibt es ein Mausoleum, da bin ich mal aufs Dach geklettert. Manchmal stehen davor welke Kränze für gefallene Soldaten. Ich finde, die Kränze sehen selber aus wie Tote.

Heutzutage bin ich nicht mehr oft in Berlin. Aber wenn ich in der Stadt bin, komme ich immer wieder hierher. Ich gehe joggen oder spazieren, pflücke einen Strauß Schilf für zuhause. Wenn nur das Rauschen der großen Straße nicht wäre! Die Hasenheide ist so etwas wie eine Konstante in meinem Leben, einer der wenigen Orte, an dem so viele Fäden meiner Vergangenheit zusammenlaufen – und an dem sich weitere dazu spinnen. So oft ich auch schon hier war, hunderte, tausende Male: Ich sehe den Park immer wieder aus neuer Perspektive.

 

Ersan Mondtag in der Hasenheide. Die bunte Mütze hat er von einer Reise nach Nepal mitgebracht, wo er sich auf sein Operndebüt vorbereitet hat © Jonas Holthaus
 

Nun bin ich wieder für eine Weile in der Stadt und inszeniere an der Deutschen Oper Berlin ANTIKRIST von dem dänischen Komponisten Rued Langgaard. Zur Zeit der Entstehung, vor fast hundert Jahren, wollte niemand seine Oper zeigen. Sie wurde zu Langgaards Lebzeiten nie aufgeführt. Dauernd fragte Langgaard in der Kopenhagener Oper nach, ob sie sein Werk nicht doch in Betracht ziehen möchten. Ihnen gefiele das Libretto nicht, war die Antwort, also schrieb er es um. Aufgeführt haben sie die Oper trotzdem nicht. Erst 1999 wurde ANTIKRIST in Innsbruck uraufgeführt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für mich wäre, als Künstler so abgelehnt zu werden. Eine sehr unattraktive Vorstellung.

Langgaards Musik ist hart an der Grenze zum Kitsch. Er hat sie von 1921 bis 1930 geschrieben, in einer Zeit, als die Kunstwelt in die Moderne aufbrach. Theodor W. Adorno philosophierte über Ästhetik. Arnold Schönberg entwickelte seine Zwölftontechnik. In diese Nüchternheit platzt Langgaard, kommt mit spätromantischer Opulenz daher, komponiert Klänge von Überwältigung. Aber er war kein konservativer Romantiker, er schwebte einfach zwischen den Stilen. Ohne viel über den Menschen Langgaard zu wissen, glaube ich, dass wir uns ähnlich sind. Er hat sehr jung mit dem Komponieren begonnen und ich mit dem Inszenieren. Und wir sind beide widerständig.

 

„Wir sind beide widerständig“, sagt Regisseur Mondtag über den ANTIKRIST-Komponisten Rued Langgaard und sich © Jonas Holthaus
 

Das Bühnenbild ist von Christopher Nolans Film „Inception“ inspiriert, in dem sich in manchen Szenen die Welt umzudrehen scheint. In meinem ANTIKRIST fällt ein Taxi vom Himmel, ein erhängter Gott schwebt über der Bühne. Er, Gott, hat eine Vulva, ist aber ein Mann. Ich will das ganze Stück in Zeitlupe spielen lassen, die Spielzeit soll nur eine Minute sein. Oder vielleicht zehn? Ich habe die Inszenierung spätkapitalistisch angelegt, die Welt bricht zusammen. Es gibt Anspielungen auf die USA, in den Kostümen taucht etwa die amerikanische Flagge auf. Ich arbeite mit Tänzern, für die ich farbenprächtige Kostüme baue – Höllengestalten, Horrorfiguren, mit Hörnern, fleischig, blutig.

ANTIKRIST endet mit einer Erlösungsfantasie. Aber diese christliche Vorstellung finde ich problematisch. Wer soll das sein, der Erlöser? Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich aus diesem Ende mache. Auch über das Thema Klimakrise habe ich in Bezug auf das Stück nachgedacht, das passt ziemlich gut zum Stoff. Wer weiß! Manche Teile des Bühnenbildes lasse ich noch frei. Vielleicht baue ich eine SUV-Werbung ein – mit dem Satz: „Yes, we dare!“

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