Thomas Blondelle ... Mein Seelenort

Thomas Blondelle ist Tenor, in Strauß’ DIE FLEDERMAUS singt er Eisenstein. Hier erzählt er vom Glück, abgeschieden in den Weiten der belgischen Ardennen zu leben – und vor Rehen zu singen

Ich verbringe viel Zeit in Städten, in dunklen Probenräumen und bin ständig unter Menschen und fast nie zuhause. Allein für Neuproduktionen bin ich als Opernsänger manchmal sieben, acht Wochen am Stück unterwegs – und in meinem Häuschen bin ich vielleicht zwei Monate im Jahr. Das klingt wenig, aber ich bin schon nach ein paar Tagen hier völlig entspannt. Eigentlich ist mein Haus eher wie ein Ferienhaus. Es liegt in den Ardennen in Belgien, am Rand eines winzigen Dorfes, in dem nur hundert Leute wohnen. Hier gibt es kilometerweit nur Wald und weiter nichts, und es ist sehr, sehr, sehr ruhig. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Kühe, Pferde und Schafe. Das ist genau der richtige Kontrast für mich.

Mein Beruf hat viele problematische Seiten. Es ist sehr schwer, ein Privatleben zu organisieren. Aber dafür kann ich meinen Wohnort frei wählen, weil ich sowieso ständig unterwegs bin. Also habe ich einen Ort gewählt, an dem es meiner Seele gut geht. In den Ardennen war ich oft als Kind mit meinen Eltern und ich war hier immer sehr glücklich. Für die Leute im Dorf bin ich „le chanteur“, der Sänger. Sie finden mich exotisch. Die Bauern wundern sich, wie ich vom Singen überhaupt leben kann. Einmal habe ich einen großen belgischen Musikwettbewerb gewonnen und war in der Zeitung und im Fernsehen. Da waren alle im Dorf stolz auf mich und der Bürgermeister hat mich eingeladen.

 Thomas Blondelle in seiner Küche, in der er am liebsten ungestört waltet. Seine Menüs sollen Geschichten erzählen, etwa von seinen Reisen © Sarah Bastin
 

Wenn ich hier bin, koche ich für Freunde. In der Küche darf mir niemand zu nah kommen. Zuschauen ist okay, aber Assistenz mag ich nicht. Ich stehe in der offenen Küche und genieße, wenn meine Freunde drüben am Tisch sitzen und plaudern und ich am Herd zaubere. Ich koche immer mehrere Gänge. Mit diesen Menüs will ich Geschichten erzählen, zum Beispiel von meinen Reisen. Im vergangenen Jahr war ich vier Wochen auf einer Tournee in Japan. Die Reise hat mich inspiriert, neu über Essen nachzudenken: Wie kochen Japaner? Wie denken sie über Essen? Wie präsentieren sie ihre Gerichte? Traditionell komme ich aus der französischen Küche, die einiges Tralala braucht: Es wird viel zubereitet, hier noch ein Schuss Sahne und da noch ein Gewürz. Die japanische Küche lebt vom Respekt vor dem Produkt und kommt ohne diese Schnörkel aus.

Neue Rollen lerne ich hier, in meinem Haus. Manchmal singe ich am offenen Fenster und wenn ein Bauer vorbeikommt, guckt der zu mir rüber. Oder ich gehe im Wald spazieren und singe das, was ich am Schreibtisch gelernt habe, leise vor mich hin. Dann sehe ich manchmal ein Reh, das die Ohren spitzt, als würde es mir zuhören. Und einmal im Jahr gehe ich weiter als nur durch den Wald um mein Haus herum: Dann laufe ich auf Fernwanderwegen ein paar hundert Kilometer mit meinem Rucksack.

Wald und weiter nichts: So beschreibt der Tenor Thomas Blondelle die Landschaft, in der er sich zuhause fühlt – die Hügel der belgischen Ardennen © Sarah Bastin
 

Im Idealfall schafft Oper es, Menschen zu verwandeln, wenn sie aus der Oper nach Hause gehen. Dafür komme ich gern ins Schwitzen. Auch ich selbst entwickle mich mit meinen Rollen: Immer wieder bekomme ich genau die Partien, die mich als Mensch wachsen lassen.

In Strauß’ FLEDERMAUS singe ich an der Deutschen Oper Berlin den Eisenstein. Der ist nur an seinem eigenen Vergnügen interessiert. Ein Hedonist, egoistisch und egozentrisch. Doch eigentlich will er nur glücklich sein. Der 1. Akt unserer Inszenierung spielt Ende des 19. Jahrhunderts, der zweite um 1960 und der 3. Akt in der Zukunft. Der Regisseur Rolando Villazón hat das einmal „Fledermaus forever“ genannt: In allen möglichen Zeiten gibt es dieses Missverständnis, dass man im puren Amüsement Glück und Bedeutung findet. Doch ich glaube, jeder Mensch muss sich für den Sinn des Lebens auf eine Reise nach innen machen, zu sich selbst. Auch wenn DIE FLEDERMAUS »nur« eine Operette ist: Wir erzählen von genau diesen großen menschlichen Fragen.

Zum Ende der Spielzeit inszeniert Stefan Herheim Wagners DAS RHEINGOLD und ich singe den Loge. Er ist nur ein Halbgott, aber so schlau, dass die Götter ihn brauchen. Er ist eine Art Diplomat, der mit allen ein bisschen kann und mit niemandem richtig. Er steht immer ein bisschen außerhalb, beobachtet und macht sich lustig über die anderen, wenn sie untergehen. Solche Rollen sind als Sänger natürlich ein Geschenk. Die spielerische und gesangliche Verwandlung von einer Figur wie Eisenstein in DIE FLEDERMAUS in Loge scheint riesig. Doch in Wirklichkeit steht immer Thomas auf der Bühne, also ich selbst. Ich halte es für einen Mythos, dass man als Schauspieler oder Sänger auf der Bühne plötzlich ein anderer wird. Ich frage mich immer: Was würde ich in so einer Situation machen? Was kann ich aus meiner Lebenserfahrung zeigen? Nur so, denke ich, wird die Rolle glaubhaft. Selbst wenn die Figur auf der Bühne zum Mörder wird und das mit meinem Leben nichts zu tun hat: Die Emotionen, die damit verbunden sind, die kennt jeder.

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