Zad Moultaka - Deutsche Oper Berlin
Mein Seelenort
Zad Moultaka
Zad Moultaka hat für die Deutsche Oper Berlin DELIRIO komponiert, die Überschreibung eines Händel-Werkes. Der libanesische Komponist und Künstler führt uns durch sein Atelier in Paris
Delirio
Georg Friedrich Händel / Zad Moultaka
Eine Überschreibung von Händels IL DELIRIO AMOROSO
Mit einem neuen Text von Hyam Yared
Musikalische Leitung: Christian Karlsen
Inszenierung: Wolfgang Nägele
Mit Flurina Stucki, Matthew Peña, Paull-Anthony Keightley, Guilhelm Terrail sowie Musikern des Orchesters der Deutschen Oper Berlin
Uraufführung am 4. Juni 2019
Wenn ich in meinem Atelier bin, vergesse ich die Zeit. Paris ist laut und voller Menschen. Aber bei mir ist es ruhig. Da liegt etwas Magisches in diesem Ort, etwas Inniges. Ich liebe mein Studio, wenn der Tag sich zum Ende neigt. Durch die großen Dachfenster schleichen sich die Lichter der Stadt, die Schatten verwandeln die Bilder und die Stimmung wird geheimnisvoll. Am liebsten arbeite ich nachts. Wenn der Sommer kommt, werde ich traurig, denn dann muss ich jeden Tag lange auf diesen Moment warten.
Das Atelier ist nicht weit entfernt vom Zentrum. Früher war das ein Künstlerviertel, jetzt ist es ziemlich gentrifiziert. Wir nennen das »Bobo«, bourgeoise bohème. Ich habe den Ort vor vielen Jahren durch einen Zufall gefunden. Heutzutage ist so was in Paris unbezahlbar. Damals, vor 25 Jahren, suchte ich einen kleinen Raum, in dem ich malen konnte, denn ich hatte nur eine sehr kleine Wohnung. Ich telefonierte eine Liste mit Angeboten ab, und bei einer Nummer rief ich aus Versehen zweimal an. Ich fragte nach einem Atelier, der Typ wusste nicht, wovon ich rede. Aber ich blieb hartnäckig und plötzlich meinte er: ›Moment, wir haben grad was reinbekommen! 150 Quadratmeter. Wollen Sie sich das angucken?‹ Klar wollte ich! Das war wirklich Glück. Es ist diese Art von Raum, die jeder haben möchte. So was Wundervolles hätte ich sonst wohl nie bekommen.
Meine Küche ist wie ein Boot. Du gehst die Treppen hinauf und fühlst dich wie in einer Kajüte. Wenn es regnet, hörst du die Tropfen direkt über dir auf dem Glasdach. Ich koche sehr gern, ich habe sogar Komponieren in der Küche gelernt. Die Gerichte, die ich als Kind im Libanon aß, sind meine Meister der Orchestration. Wenn du ein Gewürz hinzufügst, ändert sich alles. Beim Komponieren ist das genauso. Ich schmecke Musik. DELIRIO schmeckt nach Zitrone und Ingwer. Das Saure und die heiße Schärfe werden
zu etwas Neuem, zu Vibrationen.
Ich höre Musik auch in Farben. DELIRIO ist für mich ein Blau, das ins Weiße geht, fast Silber. So wie das Licht des Vollmondes auf dem nächtlichen Meer. Kalt, mit einer innigen Wärme in der Atmosphäre. Ich versuche nicht, meine bildende Kunst und meine Musik miteinander zu verbinden.
Diese beiden Teile von mir sind ohnehin auf eine natürliche Weise verbunden, sie sind für mich zwei verschiedene Seiten meiner Energie. In beiden Zuständen erforsche ich neue Räume. Das sind spirituelle Räume, keine physischen. Wenn ich Musik schreibe, vergeht die Zeit sehr langsam, manchmal brauche ich drei Tage für zwei Takte.
Die Energie des Malens ist sehr schnell, sehr körperlich. DELIRIO habe ich unten im Studio geschrieben, zwischen meinen Bildern. Das war für mich etwas Neues, denn normalerweise komponiere ich in einem anderen Raum. Aber vielleicht brauchte das Stück genau die Energie des Lichtes dort.
Ich verließ den Libanon, als dort Krieg herrschte. In den ersten Jahren in Frankreich spürte ich viel Nostalgie für meine Heimat. Und wenn ich dann im Libanon war, vermisste ich Paris. Irgendwann merkte ich, dass ich mich nur dazwischen gut fühlte: im Flugzeug, dem Ort der Erwartung. Heute ist mein Werk mein Zuhause. Ich arbeite auf der ganzen Welt, also habe ich mein Zuhause immer bei mir. Das funktioniert natürlich nur beim Komponieren, für das Malen brauche ich tatsächlich einen Ort. Aber ich habe auch ein Studio im Libanon und dort fühle ich mich sehr wohl. Es war ein langer Weg dorthin, aber jetzt fühle ich mich überall zuhause.