Pınar Karabulut ... Mein Seelenort: Der Hofgarten - Deutsche Oper Berlin

P&#x131nar Karabulut ... Mein Seelenort: Der Hofgarten

Die Regisseurin P&#x131nar Karabulut arbeitet gerne in opulenten Bühnenbildern, nun feiert sie mit der Oper GREEK von Mark-Anthony Turnage ihr Operndebüt. Hier führt sie uns an einen Ort der Ruhe mitten in der Stadt

Greek / Open-Air auf dem Parkdeck
Oper in zwei Akten Mark-Anthony Turnage
Musikalische Leitung: Yi-Chen Lin
Inszenierung: Pınar Karabulut
Mit Dean Murphy, Irene Roberts, Seth Carico, Heidi Stober
Premiere am 27. August 2021

Mein Seelenort ist der Hofgarten in München, eine Insel mitten in der Stadt. Neben ihm liegt der laute, flirrende Odeonsplatz – aber hier, nur ein paar Schritte weiter: Ruhe. Bäume, Blumen, Wiesen, Vögel, Wasser. Hier lausche ich meinen Gedanken oder lasse sie einfach ziehen. Hier atme ich durch, finde Frieden.

Jedes Mal, wenn ich in München bin, mache ich einen Abstecher in den Hofgarten. Ich wohne in Köln, aber ich bin regelmäßig hier, vor allem, seit ich als Hausregisseurin und im Leitungsteam der Münchner Kammerspiele arbeite. Das erste Mal war ich vor ungefähr 20 Jahren im Hofgarten. Ich ging ziellos durch die Stadt, schlenderte über den grauen Odeonsplatz, sah plötzlich einen Bogen zwischen den Arkadengängen: der Eingang zum Hofgarten, ein grünes Portal in eine andere Welt.

Es ist, als würde ich in einem Gemälde spazieren, in der Mitte des Parks ist eine wundervolle Rotunde angelegt, an allen vier Ecken ein Springbrunnen, alles im Stil der Renaissance. Manchmal sitze ich einfach nur da, auf einer Bank am Brunnen, beobachte die Menschen, ein paar Rentner spielen Boule, ich schaue aufs Wasser, gebe mich seinem Plätschern hin und dem Wind. Manchmal treffe ich mich mit Freunden hier auf ein Getränk.

Wenn ich mehr Zeit habe, fahre ich in den Nymphenburger Schlosspark, dort wurde einer meiner Lieblingsfilme gedreht: »Letztes Jahr in Marienbad« aus den sechziger Jahren von Alain Resnais. Der Film spielt mit der Wahrnehmung von Realität und Traum, mit Erinnerung und Zeit. Die elegischen Körper flanieren durch die Weite und Symmetrie des Parks, zwischen der barocken Architektur des Schlosses. Manche sagen, sie sehen barocke Opulenz auch in meinen Inszenierungen, und ja: Ich liebe große Bilder. Die große Geste macht mir Spaß. Aber für mich steht mein Werk im Gegensatz zum Barock: Meine Opulenz soll nicht befriedigen oder ablenken, sie soll auch keine Heiligkeit darstellen, wie es die Kunst damals wollte. Mit meiner Arbeit will ich die Sinne aktivieren: Das Publikum soll genauer hinschauen, genauer hinhören, sich nicht blenden lassen von der visuellen Darstellung.

„Der Hofgarten hat
etwas Statisches – wie
das unveränderliche,
unausweichliche
Schicksal in Turnages
Ödipus-Bearbeitung
GREEK“
 
Im Münchner Hofgarten
 

 

Auf den ersten Blick gibt es keine Verbindung zwischen diesem harmonischen Park und GREEK, der Oper, die ich für die Deutsche Oper Berlin inszeniere. Hier die satten Beete, die verspielten Fontänen, die ausgestellte Schönheit – dort die proletarische Härte im Londoner Osten, das rotzige Cockney, die verzweifelte Armseligkeit. Und doch erinnert mich die strenge Symmetrie des Parks mit seinen immer wiederkehrenden Brunnen und den zentralperspektivisch in den Mittelpunkt führenden Wegen an GREEK, wo sich die Geschichte immer aufs Neue wiederholt. Der Park hat etwas Statisches – wie das unveränderbare, unausweichliche Schicksal in dieser Ödipus-Bearbeitung.

Das Stück erzählt die Geschichte des jungen Eddy im East End der Achtzigerjahre. Eine Prophezeiung sagt, er werde – wie Ödipus – seinen Vater töten und seine Mutter heiraten. Mich interessiert der mythologische Hintergrund der Geschichte und der davon abgeleitete Ödipus- und Elektrakomplex, mit dem Sigmund Freud die menschliche Psyche erklären wollte. Turnage hat eine sehr politische Überschreibung geschaffen, eine Kritik am Thatcher-Kosmos. Er zeigt das tiefe Unwohlsein gegenüber der Obrigkeit, den beißenden Klassismus: Eine sozial niedrige Schicht versucht sich hochzuarbeiten – und wenn sie es schafft, wird sie dafür bestraft. Eddy kämpft für Freiheit. Er will raus, erstickt in seinem Elternhaus, will den Lauf des Schicksals überwinden.

Turnage nutzt für sein Stück Cockney, den respektlosen Slang des Londoner East Ends, wahrlich keine Opernsprache. Dieser Regiolekt arbeitet mit Codes und Reimen, wie eine Geheimsprache. Ich muss immer wieder irgendwelche Begriffe nachrecherchieren, weil ich nicht alles verstehe. Cockney darf nicht schön sein, es muss roh bleiben. Natürlich gibt es wunderschön ausgesungene Passagen, aber es braucht diese Härte, dieses Abgehackte der Sprache. Da will ich mich hineinwerfen, das will ich ausreizen: Wie rotzig kann Sprache sein? Wie rotzig Musik? Das will ich in die Körper der Sängerinnen und Sänger übertragen. Diese drei Komponenten – Sprache, Musik, Körper – treffen dann auf das heilige, mythologische Framing. Meine Aufgabe ist, diese gegensätzlichen Ebenen zusammenzubringen, sie herunter zu holen ins Publikum. Wir müssen uns mit Eddy und den anderen Figuren identifizieren können. GREEK ist meine erste Operninszenierung. Angst habe ich nicht, eher Respekt vor diesem neuen Medium. In der Oper muss ich innerhalb der Grenzen der Partitur arbeiten, das kenne ich vom Schauspiel nicht, da kann man aus zehn Seiten ein abendfüllendes Stück machen. Ich werde mich zügeln müssen, nicht zu viel um die Szenen herumzubauen, denn die eine Stunde zwanzig von Turnage bleiben mein Rahmen. Die Szenenwechsel sind so unfassbar schnell, no mercy für Umzüge oder Ortswechsel.

Ich habe so viele Fragen an die Oper, etwa zu performativen Obergrenzen von Sängerinnen und Sängern. Wo ist der Moment des Exzesses? Wie weit kann ich gehen? Mich reizt die Emotionalität, die ich in der Oper sehe. Ich glaube grundsätzlich alles, was auf einer Opernbühne passiert – im Gegensatz zum Schauspiel. Es ist wirklich seltsam: Musiktheater ist viel artifizieller, und trotzdem gibt es beim Schauspiel ein Maß, ab dem ich einer Figur nicht mehr glaube. Wenn ich Oper erlebe, habe ich durchgängig Gänsehaut. Für mich gibt es in der Oper keine Obergrenze für Leidenschaft. Das Drama ist grenzenlos. — Text: Jana Petersen

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