Michail Marmarinos … Mein Seelenort: Elefsina, Griechenland - Deutsche Oper Berlin

Michail Marmarinos … Mein Seelenort: Elefsina, Griechenland

Regisseur Michail Marmarinos entführt uns an den heiligsten Ort der griechischen Antike. Schon Jani Christou fand hier Inspiration für seine musikalischen Revolutionen

Uraufführung: ONCE TO BE REALISED
Sechs Begegnungen mit Jani Christous »Project files« von Beat Furrer, Barblina Meierhans, Olga Neuwirth, Younghi Pagh-Paan, Samir Odeh-Tamimi und Christian Wolff
Dirigentin Cordula Bürgi
Regie Michail Marmarinos
23., 25., 26., 27. Januar 2022

Mein Seelenort ist Elefsina, rund zwanzig Kilometer westlich von Athen. Ein Ort, der wenig von dem hat, was man gemeinhin als schön bezeichnet, seine Essenz aber ist überwältigend. Sie ist verborgen, tief vergraben im Boden unter einer Jahrtausende alten Geschichte. Elefsina ist eine Hafenstadt, sie blickt auf die Insel Salamis, die Heimat von Ajax, einem der Helden des trojanischen Krieges. Die Stadt ist auch die Heimat von Aischylos, es gibt hier ein kleines Museum und eine wichtige Ausgrabungsstätte. Vor allem aber war Elefsina das Zentrum der Mysterien von Eleusis, hier wurden alle Politiker, Philosophen und Dichter Athens initiiert. Aischylos, Platon, Sophokles, Eurypides und viele andere wurden hier bei einem heiligen Kult von Priestern eingeweiht. Aber nicht nur sie, nach dem goldenen Zeitalter ließen sich auch römische Herrscher wie Adrian oder Marcus Aurelius hier in die Mysterien einführen.

Dieser von Mysterien und Geheimnissen getränkte Ort wurde überschrieben, als sich im Rahmen der Industrialisierung hier Schwerindustrie niederließ. Raffinerien, Stahlwerke, Zementfabriken wurden hochgezogen und sie wurden, wie in vielen anderen europäischen Regionen, im Rahmen der Deindustrialisierung Ende des letzten Jahrhunderts verlassen. Die Ruinen der Fabriken stehen nun überall herum, vergessene Zeugen einer hastigen Moderne.

Erst Weihestätte, dann Industriehafen, bald Kulturhauptstadt Europas. In Elefsina kommt Theatermacher Michail Marmarinos zu sich selbst © Nikos Nikolopoulos
 

Und ausgerechnet dieser Ort der Gegensätze wird 2023 europäische Kulturhauptstadt und als künstlerischer Leiter arbeite ich daran, die Routen und Geschichten freizulegen. Die alten Initiationsriten galten Dionysos, Persephone und Demeter, ihr Symbol ist ein Weizenbündel. Bis heute ist Weizen das Symbol der Stadt, die Gegend um Elefsina war voller Weizenfelder. Durch diese Felder führte einmal im Jahr eine große Prozession nach Elefsina, wo die Feierlichkeiten stattfanden, neun Tage lang. Wir wissen nicht, woraus der Ritus bestand, es war den Initianten bei Todesstrafe verboten, darüber zu reden, man weiß aber, dass dort auch »Kykeon« getrunken wurde, ein antikes, psychoaktives Gebräu. Die heilige Route von Athen nach Elefsina existiert noch, ich bin sie schon mit meinen Kindern mit dem Fahrrad entlanggefahren. Wir planen gerade, dass wir zum Projektstart diese Route entlangschreiten wollen.

Ganz ehrlich, ich habe keine Erklärung dafür, was mich an Elefsina so anzieht. Es ist dort stellenweise richtig bizarr, wobei die Industrieruinen natürlich auch etwas Schönes haben. Es gibt einen Schiffsfriedhof, dort liegen Wracks im Hafen, wie tote Wale, fremdartige Inseln, Land auf dem Wasser. Es gibt auch ein antikes Freilufttheater, »Hundezähne« nennen wir es, weil dort Steine aus dem Boden ragen wie Zähne im Gebiss eines Hundes. Dort setze ich mich auf einen Stein, werde ruhig und aus weiter Ferne kommt der Ort auf mich zu. Von unten die Geräusche der Stadt, weiter weg die »Autobahn«, unter mir das Schweigen des Steins, den man vor Jahrtausenden hier platzierte. Das alles bringt mich irgendwohin zurück – und es bringt mich immer auch zurück zu mir. Elefsina ist ein Ort der Transzendenz. Hier werden Zeitalter überschritten, miteinander verwoben, man spürt es, sobald man die Füße auf diesen Boden stellt und aufmerksam lauscht.

Jani Christou hat es wie kaum ein Komponist verstanden, Ton und Körper miteinander zu verweben, in seinen Notationen skizzierte feinste Bewegungen von Musikern, Sängern und Schauspielern. Christou hat eines seiner komplexesten Stücke diesem Ort gewidmet. »Mysterion« heißt es, es stammt von hier und handelt von der Erfahrung, die andere Seite der Zeit zu durchschreiten. Diese Komposition hat nicht direkt mit den Stücken zu tun, die wir an der Deutschen Oper Berlin präsentieren werden und doch fühlt es sich so an, als wären auch diese Arbeiten mit Elefsina verbunden, diesem Ort ohne Zeit.

Marmarinos war mit den Kindern des Komponisten Christou befreundet. Nun inszeniert er eine Hommage an den Star der Neuen Musik © Nikos Nikolopoulos
 

Ich war noch jung, als Christou 1971 starb, später war ich eng mit seinen Kindern befreundet, wir wohnten und studierten zusammen. Eines Tages sprach mich Sandra an, seine Tochter, sie wolle mir etwas zeigen und führte mich zu einer Kiste. Drin waren Notizen, Skizzen, rund 130 unterschiedliche Ideen für Stücke. Mir war sofort klar: Diese Mischungen aus Zeichnung, Text und Komposition waren die pure Verbindung aus Musik und Theater – Musiktheater in reinster Form. Gemeinsam mit der Münchner Biennale und der Deutschen Oper Berlin haben wir 30 ausgewählt, die wir sechs Komponistinnen und Komponisten zur Bearbeitung überlassen haben. Im Januar kommen wir dann in Berlin zusammen zu Proben; und die Notizen werden nach fünfzig Jahren in der Kiste eine Transformation erfahren.

Wir werden versuchen, sie zum Blühen zu bringen und diese Blumen werden wir in einem Garten aussetzen, tausende Kilometer entfernt von Elefsina und dem Ort, an dem Jani Christou lebte. Was für ein Abenteuer!

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