Pop-Politik - Deutsche Oper Berlin
Von Kai Luehrs-Kaiser
Pop-Politik
Das Opern-Repertoire verfügt über einige eher übel beleumundete Opern von vermeintlicher Zweitrangigkeit. An Beliebtheit haben sie dadurch eher gewonnen. Ein gutes Beispiel dafür ist: „Andrea Chénier“.
Knallig, dick aufgetragen, trashig stolziert die Französische Revolution hier über die Rampe. Der heroische Dichter, der zum politischen Opfer wird, erscheint allzu durchsichtig als Vehikel für einen Tenorissimo, der es krachen lässt und damit so richtig abräumen kann. Die Titelrolle war, nebenbei gesagt, die beste Partie von Placído Domingo – neben Otello. Ohne ihn wäre es vermutlich stiller geworden um das Hauptwerk von Umberto Giordano. Domingo war in den 60er und 70er Jahren derart begeistert von dem Komponisten, dass er – wie er dem Verfasser einmal erzählte – Maria Callas davon überzeugen wollte, mit der Titelrolle von Giordanos „Fedora“ auf die Bühne zurückzukehren. Die Callas aber lehnte ab, sie wollte lieber als „Traviata“ ihr Comeback feiern.
Solch prominente Anekdoten haben Giordano genützt und immer wieder dazu geführt, dass berühmte Sänger sich emphatisch zu „Andrea Chénier“ bekannten. Auch in Berlin wird das Werk nur angesetzt, wenn man ganz große Protagonisten zur Verfügung hat. So wie im Fall von Marcelo Álvarez, der hiermit die schöngeistig-schmalen Hemden, auf die er sonst spezialisiert war, hinter sich lässt und richtig aufdreht. Seine Madeleine ist die uruguyaische Sopranistin María José Siri, welche gerade die Saison der Mailänder Scala als Butterfly feierlich eröffnete. Auch der georgische Bariton George Gagnidze spielt seit seinem Rigoletto- Debüt an der Metropolitan Opera in der ersten Liga.
Ohne solch erstrangige Kaliber macht das Werk wenig Sinn. Die Bewegung des „Verismo“ erhielt ihren Namen zwar daher, dass die sogenannte „Ständeklausel“ abgeschafft wurde – auch Bauern wie in „Cavalleria rusticana“ oder Bühnendarsteller wie in „Tosca“ und „Adriana Lecouvreur“ eroberten nun die Bühne. Wichtiger noch ist aber die Tatsache, dass Werke dieser Sorte eben stets eine Steilvorlage für Diven und Divos bieten. Hinter dem sozialen Engagement der Stoffe steckt in Wirklichkeit beinharte, eiskalte Star-Politik.
Bei dem historischen André Chénier handelt es sich um einen französischen Dichter des 18. Jahrhunderts, dessen Werke zu Lebzeiten weitgehend unbekannt waren. Wichtig wurde Chénier erst, nachdem er 31-jährig guillotiniert worden war. Als Kritiker der Jakobiner und ihres Anführers Robespierre war er zu Beginn des Jahres 1794 inhaftiert worden. Im Gefängnis schrieb er polit-satirische Texte, die er aus dem Kerker herausschmuggeln konnte. Seine Hinrichtung am 25. Juli, zwei Tage vor dem Sturz Robespierres, steht am Schluss des großen Terreur. Chénier symbolisiert den Märtyrer-Sieg der Kunst über die Politik.
Das poppige Gewand, in das Giordano selbst den historischen Stoff kleidete, übersetzte Regisseur John Dew 1994 in eine Revolutions-Revue von überschwappender Farbenpracht. Die Inszenierung beschloss eine wichtige Trias von Berliner Inszenierungen des damals jung und wild erscheinenden Regisseurs. 1987 hatte man Dew mit Meyerbeers „Die Hugenotten“ eine der besten Arbeiten der Götz Friedrich-Ära zu verdanken. Es folgte eine jugendbewegte Laser- und Breakdance-Version des „Faust“ von Charles Gounod, die lange im Repertoire blieb. Mit diesen und anderen Arbeiten war Dew einer der ganz wenigen, prägenden Regisseure, die Götz Friedrich neben sich duldete. Und die außer ihm Erfolg hatten.
Heute erscheinen die Walle-Stoffe und quietschbunten Perücken dieser Inszenierung als Reflexe und Relikte der 80er Jahre. „Andrea Chénier“ gehört – ähnlich wie „Tosca“ und „La Gioconda“ – zu den legendär historischen Inszenierungen an der Deutschen Oper Berlin, die eine Art lebendiges Opern-Museum bilden. Recht so. Dass etwas Besseres nachkommt, dafür gibt es durchaus keine Garantie.
Dieser Beitrag von Kai Luehrs-Kaiser ist in der Berliner Morgenpost-Beilage der Deutschen Oper Berlin, Mai 2017, ersterschienen.