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Techno auf der Opernbühne - Deutsche Oper Berlin

Techno auf der Opernbühne

Das Festival »Playground« präsentiert elektronische Tanzmusik, die Organisches wie Stimme, Tierhaut und Saiten einschließt. Auf der Bühne: das Publikum. Und das Trio Brandt Brauer Frick!

Wer zu Techno und Anverwandtem tanzt, denkt in der Regel weder an die Steuererklärung noch an den Einkaufszettel. In der Dance Music geht es weniger um Listen und Pflichten als um möglichst sicheres Loslassen. Oder um den kontrollierten Schwindel, der uns wie eine sanfte, aber bestimmte Zentrifugalkraft aus den Kurven des Alltags trägt. Ich gebe zu, im Theater schon an die Steuererklärung gedacht zu haben. Aber da saß ich im Saal. Bei der zweiten Ausgabe von »Playground« steht das Publikum selbst auf der Bühne. Ja, auf der großen der Deutschen Oper Berlin.

»Unser Dancefloor ist dieses Jahr tatsächlich die große Bühne«, erklärt Kuratorin Carolin Müller-Dohle, »wer diesen Raum erstmals betritt, ist immer beeindruckt.« Schon die Maße sind schwindelerregend: Selbst bei geschlossenen Schalltoren auf den Seiten ist die Bühne 21 Meter tief und 27 breit. Höhe: 32 Meter. Wer den Kopf in den Nacken legt, den ereilt der Schwindel noch schneller. Oder es schleicht sich ein Gefühl der Weite ein, des Ozeanischen, das wir im zersiedelten Jahrhundert mit knappem Wohnraum nur selten erleben. Bis zu 800 Leute passen auf die Bühne, ohne dass es dabei zu voll wäre. »Wir freuen uns riesig, diesen Raum unserem Publikum zugänglich zu machen«, sagt Müller-Dohle.

Der eiserne Vorhang, eine in Theatern vorgeschriebene Brandschutzeinrichtung, trennt also für diesen Abend tatsächlich den Zuschauersaal von der Bühne, auf der drei Formationen auftreten: Erst spielt das Berliner Duo Ameli Paul, dann treten die Headliner Brandt Brauer Frick auf, zum Abschluss gibt es ein DJ Set der Französin Océane. Nur ein kleines Podest trennt die Musiker*innen von dem stehenden Publikum. Kann man letzteres beschreiben?

Die Kuratorin: »Zum einen kommen jüngere Leute, die sich für die Künstler*innen und für den ungewöhnlichen Ort interessieren. Zum andern auch etwas älteres Opernpublikum, das gerne mal wieder tanzen möchte. Und letztes Jahr schrieb mir eine erleichterte Mutter, die ihren 15-Jährigen endlich mal in unser Haus mitnehmen konnte!«

Der räumliche Schwindel, der auf den musikalischen trifft, eröffnet auch eine konzeptuelle Ebene. Ob man die Musik elektronisch oder elektroakustisch oder hybrid nennen soll, führt nun zu einem begrifflichen Taumel. Stets sind auch Stimmen zu hören, Trommeln aus Tierhaut, Hände, Saiten.

Die Ebenen von akustischer und elektronischer Musik sind heute verbunden, so wie Tanzende im Tango, die Blickkontakt vermeiden und einander doch körperlich durchdringen. Die Sängerin Franziska Ameli Schuster vom Duo Ameli Paul hat eine klassische Ausbildung und eine im Jazz, aber sie mag Umdrehungen: in klassischen Räumen eine technoide Ästhetik zu zeigen, und im Club mit einer Arie zu verblüffen zum Beispiel. Und die DJ (ja, nicht Djane, darauf steht die Höchststrafe) Océane, die das entgrenzte Raumgefühl im Namen führt, beschließt den Abend mit einem Set, in dem tiefe Schlünde so präsent sind wie helle Stimmfetzen oder Gitarrenschnipsel.

Die gebürtige Pariserin Océane lebt heute in Berlin. Hier spielt sie regelmäßig im Sisyphos, Menschmeier, Kater Blau oder beim Festival Bucht der Träumer ©  Edoardo Odorico
 

In der Mitte des Programms steht mit Brandt Brauer Frick (BBF) eine Band, die das Genre der handgemachten Technomusik 2008 mit begründete. Ihr im Sommer erschienenes Album heißt, als hätte es das Räumliche von »Playground« vorausgeahnt: »Multi Faith Prayer Room«. Der Berliner Komponist Paul Frick, der bei BBF Klavier, Synthesizer und Perkussion spielt, erklärt am Telefon: »Ein Club ist etwas Ähnliches wie die multireligiösen Andachtsräume auf Flughäfen. Weil an beiden Orten Leute zusammenkommen, die sonst nichts miteinander zu tun haben.« Und das ist ja genau das, was dieser Abend mit musikalischen, und das heißt immer auch: mit transzendenten Mitteln erreichen will.

Als BBF anfingen, akustische Instrumente mit elektronischen zu kreuzen und Dance Music aufzuführen, erschien das vielen ungewöhnlich. Frick: »Selbst wenn in den späten Nullerjahren auch andere auf diesem Gebiet forschten, war elektronische Musik noch nicht ganz so groß wie heute. Unsere Musik klingt heute also nicht deswegen vertrauter, weil das Konzept bekannt ist, sondern weil Techno sich noch breiter durchgesetzt hat.«

Die Stimme, in der Oper ein zentrales Organ, spielt auf dem aktuellen Album eine andere Rolle als bisher. In drei kurzen Montagen, so genannten Skits, rauschen Satzfetzen vorbei aus 500 Interviews über Fragen der Zukunft, des Glaubens und nach Ritualen. Und auf der Hälfte der Tracks singen Gastkünstler*innen mit. »Wo wir die Stimmen wie Material behandeln und elektronisch bearbeiten«, sagt Paul Frick, »werden sie auch in der Deutschen Oper Berlin zu hören sein. Aber wir wollen nicht, dass eine ganze Gesangslinie live wie vom Band gespielt klingt.« Das stünde zu Techno und Oper gleichermaßen im Widerspruch.

Bei allen Berührungen zwischen Klassik und Elektronik, etwa was die Sehnsucht nach emotionaler Überschreitung angeht: Bei »Playground« stehen die Körper im Mittelpunkt. Und die sollen von der Musik im wahrsten Sinn des Wortes bewegt werden.

Franziska Ameli Schuster (l.) und Paul Valentin (r.) stehen als Ameli Paul für einen hypnotischen Live-Sound, der die Genregrenzen verschwimmen lässt © Gazukin 
 

Tobi Müller ist freier Kulturjournalist und Autor. Er schreibt und spricht über die darstellenden Künste, Pop und digitale Themen.