„Überschätz dich nicht, dann werden andere dich schätzen“ - Deutsche Oper Berlin
Kai Luehrs-Kaiser im Gespräch mit Peter Maus
„Überschätz dich nicht, dann werden andere dich schätzen“
Über das Geheimnis von 39 Jahren an der Deutschen Oper Berlin.
Seit 1979 war Peter Maus Mitglied im Ensemble der Deutschen Oper Berlin. Der Tenor gab Gastspiele im In- und Ausland, war 1982 bis 2002 Solist bei den Bayreuther Festspielen. 1995 wurde er zum Honorarprofessor an der UdK Berlin berufen und 2001 zum Berliner Kammersänger ernannt. Seit Juli ist Peter Maus offiziell im Ruhestand. Doch in Götz Friedrichs Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“, die im September unter der musikalischen Leitung von Sir Simon Rattle aufgeführt wird, ist er jetzt als Mime in „Rheingold“ zu erleben, eine der zahlreichen Glanzrollen des aus Bayreuth stammenden Sängers.
Berliner Morgenpost: Herr Maus, Sie sind einer der wenigen Sänger oft kleiner Rollen, die sich trotzdem dem Publikum fest eingeprägt haben. Wie haben Sie das gemacht?
Peter Maus: Vielleicht liegt es daran, dass ich noch aus einer Zeit stamme, wo andere, sehr starke Typen die Bühne bevölkerten. Ich will die Zeit von damals nicht verklären, es wird heute fantastisch gesungen. Aber ich glaube doch, dass wir damals unter einem lockereren Karriere-Stern standen. Die Konkurrenz war da, aber man hatte zumindest das Gefühl, dass für alle Platz war. Man konnte sich stressfreier entwickeln. Außerdem besaßen wir damals einen stärkeren Willen, etwas zu erzählen. Wenn man Glück hat, merken das die Zuschauer. Und man fällt auf.
Seit wann sind Sie dienstältestes Ensemblemitglied der Deutschen Oper?
Lassen Sie mich überlegen! Seit dem Ausscheiden von Klaus Lang und Barry McDaniel müsste ich das älteste Ensemble-Mitglied sein. Ich bin jetzt 39 Jahre da. Ein kleiner Saurier.
Seit dem 15. August sind sie nicht mehr festes Mitglied. Ans Haus gekommen sind Sie schon 1974. Lange vor Götz Friedrich!
Ja, Götz Friedrich warschon mein dritter Intendant! Jacquino im „Fidelio“ habe ich noch an der Seite von Erika Köth gesungen. Sie hätte gut meine Mutter sein können. Sie kam vor der Vorstellung zu mir: „Jetzt trinkst du erst mal einen Piccolo, damit wir beide gleich riechen!“
Intendant war damals Egon Seefehlner. Ein fähiger Mann, denn er wechselte anschließend an die Wiener Staatsoper?
Seefehlner war ein Stimmfetischist im guten Sinne. Er engagierte Leute, wenn ihn irgendetwas an einer Stimme interessierte. So bekam ich auch für das damalige Opernstudio eine Chance, die ich überhaupt nicht verstehen konnte, denn die Konkurrenz beim Vorsingen war wahrlich sicherer und stimmlich reifer. Der junge Franco Tagliavini wurde damals in die erste Reihe vorgeholt. Auch Giacomo Aragall kam. Der Ausdruck „Väter-Intendanten“ klingt hochtrabend, trifft aber auf Seefehlner zu. Auch Götz Friedrich zählte noch zu diesem Intendanten-Typus.
Sie begannen als lyrischer Tenor?
In Berlin habe ich in der Zeit Belmonte gesungen und unterwegs Ferrando, den Grafen im „Barbier von Sevilla“ und einiges mehr. Da hatte ich viele tolle Partnerinnen wie Edita Gruberova. Ich trug die Kostüme von Luigi Alva auf. Aber ich fühlte mich nicht ganz wohl in dieser Rolle. Denn ich hatte das Gefühl, nicht groß genug zu sein. Außerdem war ich natürlich kein Italiener. Mein nächster Intendant Siegfried Palm sagte: „Dann machen wir einen kleinen Fachwechsel.“ Der Wenzel in der „Verkauften Braut“ war daraufhin eine der schönsten Rollen, die ich hier überhaupt gesungen habe. Dann kam Jacquino. Ich bin heilfroh, dass ich die Chance hatte, das große lyrische Fach auszuprobieren.
Hatten Sie eine Devise?
„Überschätz dich nicht, dann werden dich andere schätzen.“ Das hatte ich irgendwie begriffen. Ich wollte nicht Rollen singen, in denen ich mich selber nicht besetzt hätte. Und bei diesem Thema bin ich streng, auch als Lehrer.
Wo lagen die größten Versuchungen, schwerere Rollen anzunehmen?
Natürlich in Bayreuth, meiner Heimatstadt. Seit 1982 habe ich dort als 4. Knappe, als Hirt, als Gewürzkrämer Ulrich Eisslinger in den „Meistersingern“ gesungen. Daniel Barenboim, der damals den „Ring“ dirigierte, wollte gern, dass ich Mime singe. Und zwar im „Siegfried“. Mit Simone Young und Donald Runnicles, seinen beiden Assistenten, habe ich die Rolle daraufhin trainiert. Ich merkte aber, dass es zwar funktionieren würde. Dass ich aber dann die „Matthäus-Passion“ von Bach in Zukunft vergessen könne.
Wer war Ihr Idol, als Sie anfingen?
Ich empfinde mich als Fritz-Wunderlich-Schüler. Zu seiner Lehrerin Margarethe von Winterfeldt pilgerten wir damals alle. Auch Donald Grobe, der hier lange Zeit ein wichtiges Ensemble-Mitglied war. Sie hat immer gern „vom Fritz“ erzählt. Der wunderbare Sitz seiner Stimme, die nie selbstgefällig klang, war seine größte Stärke. Als Sänger konnte man von ihm lernen, wie der Körper die Säule der Stabilität beim Singen ist. Wunderlichs Stimme, würde ich sagen, hat mich zum Singen gebracht.
War es, da Sie aus Bayreuth stammen, wichtig für Sie, bei den Bayreuther Festspielen aufzutreten?
Gewiss. Geboren bin ich zwar in Wasserburg in Oberbayern. Aber schon mit anderthalb Jahren kam ich nach Bayreuth. Als Kind sang ich in der Kantorei. Ich war mehr in der Kirche als anderswo. Das Festspielhaus hatte für uns keine so große Bedeutung. Wir sind nie als Zaungäste zu den Aufzügen gepilgert. Mich hat die Oper erst erwischt, als ich bereits an der Oper war. Zu den Bayreuther Festspielen hat mich dann Götz Friedrich mitgenommen, für „Parsifal“. Peter Hofmann sang die Titelrolle und Leonie Rysanek die Kundry. Ich habe dann die unterschiedlichsten Meister gesungen: Ulrich Eisslinger, Kunz Vogelgesang. Ich wurde ein Kind Wolfgang Wagners.
In welchem Sinne?
Ich hatte schon in Kindertagen neben seinem – später verstoßenen – Sohn Gottfried auf der Schulbank gesessen. Zu den Wagners gingen wir zum Tischtennis. Wolfgang Wagner hat sich auch immer sehr um mich als Sänger gekümmert. „Meister Maus, wir versuchen es mal“, hieß es, wenn es um eine neue Rolle ging. „Und wenn es nicht geht, dann lassen wir es eben wieder.“ Ich glaube, auch in Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung hätte ich noch hinein gekonnt, wenn ich es unbedingt gewollt hätte. Aber den entsprechenden Satz hab’ ich nicht rausgebracht. Es war, glaube ich, auch genug.
Immerhin singen Sie jetzt, gleichsam zum Abschied, den Mime im „Rheingold“?
Ja, aber damit habe ich erst vor zwei Jahren angefangen. Und der Mime im „Rheingold“, der dauert auch nur etwa 15 Minuten. Ich habe eher eine leichte, lyrischere Stimme, da bin ich mit der Partie gut ausgelastet.
Haben Sie Simon Rattle, der im September den „Ring“ an der Deutschen Oper Berlin dirigiert, vorgesungen?
Nein, ab einem gewissen Alter singt man nicht mehr zwingend vor. Auch hatte ich immer das Glück, nicht zu viel vorsingen zu müssen. Vorgesungen habe ich, als ich in Berlin engagiert wurde. Dann noch einmal in den 70er-Jahren beim Bach-Wettbewerb in Leipzig. Und schließlich bei Georg Solti für den „Falstaff“-Film in der Regie von Götz Friedrich. Da hab ich Bardolfo gesungen. Fünf oder sechs Takte, mehr nicht. Dafür war ich nach London gekommen!
In Berlin sangen Sie Rollen, von denen wenige wissen, wo sie vorkommen: Remendado in „Carmen“, Junker Spärlich („Lustige Weiber von Windsor“) oder Fatty (in „Mahagonny“).
Es sind Rollen, die nach dem Grundsatz gestaltet werden müssen: „Wenn man auffällt, ist man schon schlecht.“ Ich rate Darstellern kleinerer Partien: Versuch nicht, darin vorzusingen! Sei eine Tangente. Ich bin – von meiner Mutter her – sehr bodenständig erzogen. Außerdem gelernter Kirchenmusiker. Schon nach einem einzigen Jahr Singen in München, wo ich einer der letzten Karl Richter-Orgelschüler war, sah ich die Stellenausschreibung für Berlin. Bei Karl Richter bin ich noch oft für Ernst Haefliger eingesprungen. Ich war die Einspring-Maus.
Gibt es eine Rolle, die „unter Ihrer Würde“ ist?
Kenne ich gar nicht! In Rollen, die Zurückhaltung verlangen, um gut zu sein, lernt man für größere Aufgaben. Man muss konzentriert bleiben, ohne sich übermäßig zu produzieren. Einem Kollegen gut zuzuhören, der eine schwere Arie singt, kann mitentscheidend sein für die Leistung und die Spannung der ganzen Aufführung.
Ihre wichtigste Rolle?
Der Wenzel in der „Verkauften Braut“. Mit Pilar Lorengar. Regie führte Bohumil Herlitschka, Heinrich Hollreiser dirigerte. Eine wunderbare Zeit. Man probte bis elf, halb zwölf in der Nacht und dachte: Hoffentlich hört die Probe nie auf! Ich meine das ganz im Ernst.
Die beste Aufführung, in der Sie mitgewirkt haben?
Der Berliner „Tristan“ unter Daniel Barenboim und Götz Friedrich Anfang der 80er-Jahre. Und in der gleichen Zeit Janáceks „Totenhaus“, es war die erste Regie Götz Friedrichs. Was für Aufführungen! Jetzt werde ich ein bisschen melancholisch.
Wollen Sie den Mime in „Siegfried“ nicht doch noch singen?
Und wer trägt mich nach dem ersten Akt von der Bühne?! Da freue ich mich doch, im „Siegfried“ meinem jungen Kollegen Burkhard Ulrich als Mime zu lauschen. Der kann das und ich bewundere ihn sehr. Ich singe lieber noch mal meine Partien wie Triquet im „Eugen Onegin“ oder den alten Kaiser in „Turandot“. Für mein Leben gern würde ich noch mal den „Blödsinnigen“ in „Boris Godunow“ singen.
Und den Haushofmeister im „Rosenkavalier“!?
Auch den! Er hat nur einen Satz. Götz Friedrich, der die Regie führte, sagt mir bei einem Gastspiel in Japan, als ich mich beschwert hatte, dass ich im dritten Akt noch einmal stumm auftreten muss: „Schimpf nicht rum, den kannst du auch noch in deiner Zeit als Rentner singen!“ Er hat Recht gehabt.
Aus: Beilage zur Berliner Morgenpost, September 2013