Was mich bewegt

Völker, hört die Gefühle!

Artifiziell, hochgezüchtet, extrem: Viele Operfans sind süchtig nach „Belcanto“, dem virtuosen Trällern und Trillern. Der Gesang ist so pur, dass Forscher ihn sogar ins Weltall schickten, damit Aliens uns Menschen verstehen

Faszination Belcanto
Als Ideal einer Verschmelzung von Klangschönheit, Ausdruck und Virtuosität steht der Begriff „Belcanto“ seit über 400 Jahren für die Faszinationskraft, die vom Einsatz der menschlichen Stimme auf der Opernbühne ausgehen kann. Doch steht die Kunst des „schönen Gesangs“ damit im Spannungsverhältnis zu den Geschichten, die Oper erzählt. Das Symposion von Deutscher Oper Berlin und Deutschlandfunk Kultur blickt in Vorträgen und Diskussionen auf die Entwicklung des Belcanto, stellt aber auch die Frage, wie heute die Opern des Belcanto gesungen und dargestellt werden: Was klingt für uns schön? Wie verhalten sich Virtuosität und szenische Glaubwürdigkeit zueinander?
8. bis 10. Februar 2019

Vor einigen Wochen hat der Belcanto endlich den interstellaren Raum erreicht. Denn auf der Datenplatte, mit der die Wissenschaftler der NASA 1977 die Raumsonde Voyager 2 bestückt hatten, um fremden Zivilisationen ein Bild der Menschheit zu vermitteln, befindet sich auch eines der faszinierendsten Beispiele jenes virtuosen Kunstgesangs: Die zweite Arie der Königin der Nacht aus Mozarts ZAUBERFLÖTE wird vielleicht das erste sein, was die Bewohner dieser Galaxien von unserem Planeten hören werden. Und auch wenn sie noch weniger vom gesungenen Text verstehen als ein durchschnittlicher Opernbesucher, werden sie vermutlich schnell verstehen, worum es in „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ geht. Denn was wären die furiosen Koloraturketten und messerscharfen Spitzentöne anderes als eine eindringliche Demonstration, zu welchen extremen Hass- und Wutausbrüchen der Mensch in der Lage ist, wenn ihm etwas gegen den Strich geht?

 

So sieht sie aus, die »Voyager Golden Record«, in die unter anderem die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts DIE ZAUBERFLÖTE graviert wurde © akg-images
 

Wenn die Aliens durch diese drei Minuten vokaler Kampfansage immer noch Kontakt mit den Menschen aufnehmen wollen, wissen sie zumindest, worauf sie sich einlassen. Aus musikwissenschaftlicher Perspektive hingegen ist Mozarts Arie eine ausgezeichnete Wahl. Steht sie doch genau im Zenit der Entwicklung der Belcanto-Kunst, die fast drei Jahrhunderte lang das Vokabular der Oper bilden sollte: als Sprache, die mit einem ganzen Arsenal von stimmlichen Ausdruckmitteln eine Intensität und einen Bilderreichtum beschwören konnte, der die allegoriereichen Verse der Barockpoeten vergleichsweise blutleer erscheinen ließ. So war es in den Opern des 18. Jahrhunderts, in denen die Sänger, allen voran die Kastraten, eine Idealwelt vollendeter Künstlichkeit auf die Bühne zauberten, mit ihren Trillerketten und Fiorituren das Murmeln der Bäche ebenso nachahmen konnten wie das Brausen des Sturms und natürlich das zärtliche Pochen verliebter Herzen.

Schon damals war das Ideal dieser Kunst die Verschmelzung von Schönheit, Ausdruck und einer die Grenzen des Menschenmöglichen streifenden Virtuosität – der im Nachhinein aufgekommene Begriff »Belcanto« führt insofern in die Irre, als dass es bei diesem Gesang immer um Vergegenwärtigung von Gefühlen und nie um bloß schöne Melodien oder die Zurschaustellung von Kunstfertigkeit ging. Es hätte freilich niemanden wundern können, wenn diese hoch artifizielle Kunst zusammen mit ihren Hauptprotagonisten, den Kastraten, nach der französischen Revolution von der historischen Bildfläche verschwunden wäre. Und doch begann genau hier die zweite Blüte des Belcanto-Gesangs, die bis heute unseren Begriff von dieser Musik geprägt hat: In dem Moment, wo die Menschen auch von der Opernbühne eine stärkere Natürlichkeit erwarteten, mutierte der Belcanto von einer allgemeinen Kunstsprache, die alle Sänger auf der Bühne gleichermaßen beherrschten, zum Ausdruck extremer Seelenregungen, von Wahnsinn und Verzweiflung. Genau an dieser Schnittstelle steht Mozart 1791 mit seiner Königin der Nacht, der einzigen Figur, die in dieser Oper den großen Belcanto-Gesang präsentiert und die damit zwar einerseits für eine untergehende Welt steht, aber gleichzeitig das Tor zu einer neuen aufstößt.

Denn der Belcanto als Ausdrucksmittel extremer Seelenzustände sollte bald darauf zum großen Faszinosum der romantischen Oper werden – sei es im Glückstaumel, den Rossinis Heldinnen am Ende ihrer Opern durchleben, sei es im Wahnsinn von Donizettis Lucia, Bellinis Elvira oder auch Meyerbeers Dinorah.

Die Voyager soll übrigens noch mindestens zehn Jahre weiter durchs All fliegen, heißt es. Zeit genug, um noch ein paar andere Galaxien für den Belcanto zu begeistern.

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