Konsequent bis in den Tod - Deutsche Oper Berlin
Was mich bewegt
Konsequent bis in den Tod
Der Regisseur Christof Loy ist auf der Suche nach Systemsprengerinnen – und der biblischen Frage nach Schuld. In Francesca, der Titelfigur in Zandonais FRANCESCA DA RIMINI, findet er beides
Ich mag egozentrische Figuren. Vielleicht mag ich deshalb Francesca so, die Titelfigur in Zandonais FRANCESCA DA RIMINI. Ihr konsequentes Handeln steigert sich im Laufe des Stückes, aber schon in der ersten Begegnung mit Paolo, den sie für ihren Bräutigam hält, wird es sichtbar: Francesca sieht Paolo, sie pflückt eine Rose und überreicht sie ihm, ohne ein Wort zu sagen. Sie weiß noch nicht, dass sie betrogen werden wird, dass der schöne Paolo, in den sie sich gerade verliebt, nur zum Schein geschickt wurde. Sie weiß nicht, dass sie dessen hässlichen Bruder Gianciotto heiraten muss, und doch wird sofort klar: Das ist eine, die sich nicht an bürgerliche Regeln hält. Francesca wird um ihr persönliches Glück kämpfen.
Die Oper wurde 1914 uraufgeführt, in einer Zeit, die stark von biedermeierlichen Moralvorstellungen geprägt ist. Dort hinein bricht Francesca: Offensiv, unerschrocken, konsequent, eine Systemsprengerin. Francesca handelt, sie reagiert nicht. Nicht nur in der kleinen Rosenszene, auch später, als sie merkt, dass sie betrogen worden ist. Sie ist auf eine Intrige hereingefallen, doch die Scham darüber frisst sie nicht in sich hinein, im Gegenteil: Sie redet darüber. Das finde ich sehr gesund. Francesca entscheidet sich, ihren rechtmäßigen Ehemann zu betrügen. Und selbst in der Reflexion dieser Entscheidung handelt sie vollkommen unbürgerlich. Sie fragt sich nicht: Was wird mein Mann denken? Sondern: Was tue ich mir selber damit an? Francesca nimmt viel in Kauf, um diese Liebe mit Paolo auszuleben. Selbst als sie im letzten Akt spürt, dass der dritte Bruder von ihrem Verhältnis mit Paolo weiß, trifft sie sich mit Paolo und riskiert mit dieser letzten nächtlichen Begegnung alles. Sie weiß: Das kann nicht gut ausgehen. Sie nimmt den gemeinsamen Liebestod in Kauf. Francesca ist ein Glücksfall für das Publikum, gerade wegen ihrer Konsequenz. Sie fordert uns auf, uns in Vergleich zu setzen: Würden wir so handeln wie sie? Oder ganz anders? Vermutlich werden die meisten von uns nach so einem Opernerlebnis nicht so konsequent handeln. Doch Francesca wirkt wie eine Bewusstseinserweiterung, sie emanzipiert unsere Gedanken, sie lädt uns ein, Tabus zu begegnen. Gleichzeitig stellt sich in Francescas Handeln die Frage nach der Schuld. Francescas Ehemann sieht nur den Ehebruch – und übt Selbstjustiz. Aber inwiefern macht Francesca sich wirklich schuldig? Das bleibt letztlich offen. Es hängt allein von unserer Bewertung ab.
FRANCESCA DA RIMINI ist Teil meiner Trilogie für die Deutsche Oper Berlin, die für mich mit Korngolds DAS WUNDER DER HELIANE ihren Anfang nahm. Auch Heliane ist mit Schuld konfrontiert. Ihr Sündenfall ist, dass sie sich einem Fremden nackt zeigt. Doch im Gegensatz zu Francesca wird Helianes Schicksal gesellschaftlich verhandelt: Helianes Mann, der Herrscher, will sie für ihre Tat mit dem Tode bestrafen – doch er sichert sich durch Richter und Gesetze ab. Francescas Ehemann dagegen schert sich nicht um das Gesetz. Das unterscheidet die Werke: FRANCESCA ist introspektiver, privater, anarchischer, roher.
Der dritte Teil dieser Trilogie wird DER SCHATZGRÄBER von Franz Schreker sein, eine der meistgespielten zeitgenössischen Opern in der Weimarer Republik. Hier geht es um eine Frau namens Els, die pathologische Züge hat. Um ihr Glück zu verwirklichen, lässt sie die Männer ermorden, mit denen ihr Vater sie verheiraten will. An diesem Stück interessiert mich, inwiefern so eine Frau trotzdem als unschuldig bezeichnet werden kann – mit anderen Maßstäben als unserem Gesetzbuch. In meinem Kopf formt sich allerdings gerade sogar eine Tetralogie: Da schlummert noch LA FIAMMA des Italieners Ottorino Respighi. Dieses Stück von 1934 ist wie eine Konzentration der Themen, die mich bewegen: Es geht um Hexenverbrennung, das schlimmste Verbrechen, das Frauen je angetan wurde.
All diese Stoffe vereint nicht nur die Frage nach der Schuld und der Egozentrik ihrer Figuren – sondern auch eine Leerstelle: Denn die Schuld der Männer spielt in keinem dieser Stücke eine Rolle. Die Geschichten fangen erst da an, wo man Frauen Vorwürfe machen kann.