Welten- und Liebesträume eines Fantasten

Benedikt von Peter inszenierte Verdis „Aida“ als eine Arena des Klangs, in der der Zuschauerraum bespielt wird

Schon in ihrer ersten Arie singt sie vom Tod, und dieser Gedanke lässt sie bis zum letzten Akt nicht los: Aida ist eine jener Bühnenfiguren, die allein zum Sterben auf die Bühne geschickt worden zu sein scheinen. Der schöne weibliche Tod, das war eines der Lieblingsthemen des 19. Jahrhunderts: Die Frauen sind sterbende Engel oder sterbende Prostituierte („La Traviata“), sterbende Freiheitsfanatikerinnen („Carmen“) oder Sterbenskranke (Mimì in„La Bohème“), vom eifersüchtigen Ehemann Erwürgte (Desdemona/„Othello“) oder den großen Liebestod Suchende (Isolde/„Tristan und Isolde“). Mit der Realität jedenfalls haben sie wenig zu tun, sind vielmehr eine Projektionsfläche für männliche Sehnsüchte, weit entfernt von den widrigen Problemen des Alltags. Ihr schöner Tod lädt ein zum Träumen und hält sie auf Distanz. Giuseppe Verdis „Aida“ reiht sich hier zweifellos ein.

Diese Oper erzählt jedoch mehr: Denn mit Amneris, der Königstochter, die Radames beständig ihre Liebe anträgt, wird eine alternative Frauenfigur angeboten. Mit Amneris wäre eine Realität, ein Leben am häuslichen Küchentisch möglich. Doch Radames träumt lieber und verliert sich in den Fantasien von der exotisch-fernen Aida, der todgeweihten Liebe.

Diese Dreiecksgeschichte, in der mit den zwei Frauenfiguren Aida und Amneris auch zwei Liebes- und Lebensentwürfe miteinander kämpfen, präsentiert sich als ein Kammerspiel der Liebe im Privaten und ist gleichzeitig eingebettet in die große internationale Politik der Entstehungszeit. Denn Auftraggeber von „Aida“ war kein Geringerer als der ägyptische Vizekönig, Anlass nichts weniger als die feierliche Eröffnung des Suezkanals 1869, ein weltpolitisches Ereignis, das Afrika näher an Europa heranrückte. Dieser Blick auf einen anderen Kontinent ist dem Werk nicht nur äußerlich, sondern auch wesentlich inhaltlich eingeschrieben. Die Uraufführung fand statt im Opernhaus von Kairo, einem genuin europäischen Bau auf afrikanischem Boden. Und kulturkolonialistisches Denken spielt auch für die Handlung eine Rolle in der Auseinandersetzung zwischen Ägyptern und Äthiopiern. Äthiopien soll vernichtet und ägyptisiert werden. Das Land steht für den Fantasten Radames für eine bessere Welt, für die Utopie eines anderen Staates. Dort und in der Liebe zu Aida wäre Glück für ihn möglich. Seine eigene Realität jedoch lebt er nicht mehr, sie existiert nur noch geisterhaft. Amneris, die Realistin, kämpft wie eine Löwin um ihn und für ihre Liebe und verliert dabei alles. Denn Giuseppe Verdis wohl pessimistischste Oper endet mit dem Rückzug in ein steinernes Mausoleum. Der „Held“ entzieht sich der Wirklichkeit, aktives politisches Handeln ist in seiner Geschichte nicht mehr denkbar. Der Tod Aidas steht auch für den Tod der Utopie. 

Regisseur Benedikt von Peter versteht in diesem Sinne Verdis „grand opéra“ „Aida“ als ein „Requiem auf die Utopie“, das permanent von unzähligen Augenpaaren in der Öffentlichkeit verfolgt wird, und entwickelte daraus die Idee einer Bespielung des gesamten Zuschauerraums der Deutschen Oper Berlin. Mit ähnlichen, oft ungewöhnlichen Raumlösungen hat Benedikt von Peter in den letzten Jahren auf sich aufmerksam gemacht und wurde dafür unter anderem mit dem Götz-Friedrich-Preis, dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ und dem Kurt-Hübner-Preis ausgezeichnet.

Für „Aida“ an der Deutschen Oper Berlin steht Verdis Idee eines Raumklangs im Zentrum des Inszenierungskonzepts. In keiner anderen Verdi-Partitur finden sich so viele Angaben zu Aufstellungen im Raum wie in „Aida“: Der berühmte Triumphmarsch ist das größte Gesamttableau, das Verdi je komponiert hat: mit zwei Orchestern, vier Chören und Solisten. Daneben fordert er Klänge von „ferne“, von „innen“ oder von „unten“: mystisch für die magische Szene am Nil oder drohend für die unsichtbaren Priester. In Benedikt von Peters Inszenierung werden diese Vorgaben auf den gesamten Zuschauerraum ausgedehnt. So entsteht eine Arena des Klangs.

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