Wieviel Zeit bleibt mir? - Deutsche Oper Berlin

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Wieviel Zeit bleibt mir?

Ingeborg Bachmanns EIN GESCHÄFT MIT TRÄUMEN ist auch siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hochaktuell. Eine Regisseurin und eine Komponistin haben den Stoff für die Deutsche Oper Berlin neu bearbeitet.

Ein Geschäft mit Träumen
Musiktheatrales Hörspiel nach Ingeborg Bachmann mit Musik von Alexandra Filonenko
Einspieler des Original-Hörspiels von 1952 fusionieren mit der neu geschaffenen Musik und den physisch anwesenden Darsteller*innen. Aus einem ursprünglichen Theater für die Ohren wird ein szenisches Live-Hör-Spiel.
Konzept, Inszenierung: Anna von Gehren
Mit Pia Davila, Daniel Gloger, Silke Lange, Ruth Velten, So-Hee Kim
30. Januar; 1., 3. Februar 2020

 

Anna von Gehren hat Ingeborg Bachmanns Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ bearbeitet, ein Stück über Traum und Trauma. Es zeigt Wege, den Alltagstrukturen zu entfliehen.
 

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Theater zerbombt oder geschlossen. Die Menschen saßen vor ihren Radios und das Hörspiel erlebte einen Boom. Ingeborg Bachmann war 1952 25 Jahre alt und arbeitete als Redakteurin beim Wiener Sender »Rot-Weiß-Rot«. Und für diesen Sender hat sie ihre Erzählung „Ein Geschäft mit Träumen“ zu einem Hörspiel überarbeitet. Das Stück war für mich eine Entdeckung: Ich bin in diese Welt förmlich hineingesogen worden.

Wie die Schauspielerinnen und Schauspieler gesprochen haben! Das ist noch diese alte Theatersprache, die Stimme als ein ästhetisches Medium begreift, das man von allen Seiten bearbeiten kann. Ich nehme Bachmanns Original als Ausgangspunkt und setze es in Kontrast zu neuen Ebenen: der Szene, dem Raum und der Komposition von Alexandra Filonenko. Bachmanns Erzählung ist schon an sich sehr musikalisch. Als sie jung war, hat sie komponiert, und diese Affinität zur Musik steckt in ihrer Sprache. Ihr Hörstück spielt mit der Zeit: In der ersten Sequenz befinden wir uns in einem Büro, der Arbeitswelt von Laurenz. Seine Kollegen ackern in wahnsinnigem Tempo. Deutschland nach dem Krieg heißt: alles hinter sich lassen, funktionieren, weiter, weiter, das Trauma des Krieges verdrängen. Und so ist auch der Sprachstil an dieser Stelle: extrem komprimiert und beschleunigt.

Mit diesem Tempo kommt Laurenz nicht zurecht. Er hat seinen eigenen Rhythmus, er träumt, sieht Dinge, die andere nicht sehen. Vor ihm öffnet sich eine Tür zu einem Geschäft, er tritt ein – und durchlebt die Träume und Traumata seiner Generation. Mal wird er zum Diktator und erklärt den totalen Krieg. Mal versucht er sich aus dem System zu befreien, in dem alles funktionieren muss. Dabei überlagern sich verschiedene Realitäten. Sowohl für Laurenz als auch für uns Zuschauende ist nicht klar, in welcher Ebene wir uns befinden – Alltag oder Traum?

Für mich ist das ein hochaktueller Text, denn natürlich ist auch unsere Gegenwart nicht frei von Diktatoren oder Faschisten. Auch wir sind oft in Strukturen gefangen und suchen oder finden unsere eigenen Wege, um aus ihnen zu entfliehen. Und so wird aus diesem Stück ein Nachdenken über Traum und Trauma, Zeit und Wirklichkeit.

 

Alexandra Filonenko komponiert für die Bearbeitung von Bachmanns „Ein Geschäft mit Träumen“ die Musik. Ob sie dabei sogar Ohrwürmer produziert?
 

Musik muss sprechen. Mein Werk darf nicht dekorativ oder illustrierend sein, ich will immer ein eigenständiges Kunstwerk schaffen. Mein Ziel muss es sein, dass die Musik der Sprache von Ingeborg Bachmann verwandt ist! Ihr Text ist sehr sinnlich, musikalisch, fast körperlich, er wirkt auf mich wie ein Drehbuch. Ich habe sofort Bilder vor mir gesehen, Ideen für die Musik bekommen.

Die Körperlichkeit in Bachmanns Sprache will ich mit meiner Musik treffen, mit einer leidenschaftlichen Musik, die wir live in einer Kammerbesetzung spielen: Sopran, Bariton, Akkordeon, Saxophon, Klavier, Elektronik. Mein musikalisches Prinzip ist „synthetisch“ und verfolgt die „Mute-Technik“, das bedeutet in Bezug auf Stimmen: Ich trenne nicht zwischen Gesungenem und Gesprochenem. Sobald jemand spricht, können der Text, sein Atem und seine Bewegungen beim Sprechen zur Melodie werden. Für die Protagonisten des Stücks, Laurenz und Anna, habe ich Motivmelodien geschrieben, die zu Leitmotiven werden: Es sind Ohrwürmer! Das ist großartig, wenn das gelingt: Du gehst aus dem Stück – und das Motiv bleibt. Anna wird in meiner Musik fein, sensibel, zerbrechlich und gleichzeitig raffiniert, ja leidenschaftlich und durchsetzungsstark gezeichnet. Sie ist wie ein Baum in der Wüste. Und auch ihr Geliebter Laurenz ist zärtlich, übersensibel und gleichzeitig stark – so versuche ich ihn auch in meiner Musik zu präsentieren. Und so lese ich nicht zuletzt Bachmann: Verwurzelt, aber doch allein – und immer nah am Verdursten. Zerbrechlich, verlassen, eine Einzelgängerin.

 

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