Blick zurück – „Aida“ - Deutsche Oper Berlin

Blick zurück – „Aida“

Kein Pharaonenkitsch, keine lieblichen Palmen sind in Wieland Wagners epochaler AIDA-Inszenierung zu sehen, die am 29. September 1961 – als dritte Premiere fünf Tage nach der Eröffnung des neuen Hauses – an der Deutschen Oper Berlin erstmals zu sehen war. Das von dem Wagner-Enkel selbst gewählte Credo einer „Entrümpelung der Bühne“ weist das Märchen-Ägypten rundheraus zurück. Stattdessen kleidet Regisseur Wagner den „absoluten“ Konflikt von Liebe und Tod, den er als Zentrum der Oper betrachtet, in eine betont fremde, exotische Bildsprache, die mit Masken, Fetischen und einem „Riesenphallus“ in Amneris’ Gemach ein archaisches, ausdrücklich fiktives „Afrika“ erschafft, das wie hier im zweiten Akt über weite Teile auf einer dunklen Bühne spielt.

Aus dem Programmheft: Aida, 1961 (1)
 
Aus dem Programmheft: Aida, 1961 (2)
 
Aus dem Programmheft: Aida, 1961 (3)
 
Aus dem Programmheft: Aida, 1961 (4)
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Womöglich ist Wieland Wagners Inszenierung die erste Auseinandersetzung mit AIDA, die das Werk auf Distanz zur Sehgewohnheit rückt, um sich ihm als „lebendiges Theater“ neu zu nähern. Zu diesem Zweck bedient sich Wagner der Mittel des modernen „Zeitstils“ – für ihn die einzig angemessenen. Eben damit polarisiert Wagners „Neubayreuther“ Ästhetik seit 1951, als sie auf dem grünen Hügel mit dem PARSIFAL, Eröffnungspremiere der ersten Nachkriegsfestspiele, erstmals zu erleben war.

Die AIDA deutet Wagner psychologisch, wie für ihn „die ganze Musik des 19. Jahrhunderts aus dem Psychologischen“ kam. Er destilliert die Handlung zu schier archetypischen „menschlichen Grundsituationen und Grundspannungen“ – und lässt diesen dramatisch-psychologischen Kern auch szenisch durch ein jeweiliges plastisches Symbol abstrakt die Bilder dominieren.

 

Maßgeblich ist für diese Inszenierung auch, dass der konventionelle Einsatz von Helligkeit und Dunkelheit umgekehrt ist. Während der repräsentative Triumphzug – für Wagner eine „tragische Szene“ des Konflikts zwischen Liebe und störendem Ordnungsprinzip – und die Tempelszene als Nachtstücke angelegt sind, leuchtet die Gruft, in der sich bei Wagner der transzendente ‚Liebestod‘ ereignet, „im diffusen Licht eines übernatürlichen, einer anderen, besseren Welt zugehörigen Tages“.

AIDA – Schlussduett, Gloria Davy und Jess Thomas → Live-Mitschnitt der Premiere am 29.9.1961
 

Die AIDA-Premiere wird die erfolgreichste des Eröffnungsprogramms und gehört für die Berliner Öffentlichkeit zu den Glanzlichtern der 11. Festwochen, auch im Rundfunk wird ein Live-Mitschnitt gesendet. Eine Wieland Wagner-Premiere sorgt selbstverständlich für Furore. Auch wenn nirgendwo der heute so gern bemühte Ausdruck „Skandalregisseur“ fällt, künden von seinem Status regelrechte Buh-Konzerte, die Wagners Premieren nicht selten beschlossen. Und Intendant Rudolf Sellner ist eben gerade auf Diskurs, zeitgenössisches Theater und Erneuerung aus und holt zu diesem Zweck in Wieland Wagner einen starken Partner an sein neues Haus – gerade nicht mit (Richard) Wagner, sondern mit Verdi.

Aktuelles Magazin vom 25. September 1961: Zu Gast bei Friedrich Luft: Hören und sehen Sie es hier → in unserer Mediathek
 
 

In der Kritik werden die Gleichförmigkeit von Wagners Ansatz und seine Haltung zum verdischen Text kritisiert, den Wagners Inszenierung oft zu überschreiben suche.

So schreibt Johannes Jacobi für die ZEIT:

Der junge Herr von Bayreuth inszenierte die "Aida" als Verdis "Tristan und Isolde". Seiner Neubayreuther Mysterienbühne erfand der Inszenator konsequent ein "afrikanisches Mysterium" hinzu. Daß sich Wieland Wagner über das in einer pharaonischen Hochkultur angesiedelte Szenarium von du Locle und Ghislanzoni hinwegzusetzen versuchen würde, das wäre bis zu einem gewissen Grade verständlich gewesen, obwohl Verdi, der Komponist, bis in sprachliche Einzelheiten am Textbuch beteiligt war und die Todesszene von Radames und Aida selber ausgearbeitet hat. Doch, wie so oft gegenüber Richard Wagner, hat sich Wieland Wagner als Szeniker eigenmächtig auch über den Musiker Verdi hinweggesetzt. Er ließ in violettem und grünem Dämmerlicht spielen, was in Verdis Musik als brennende Sonne klingt. […]

Heben wir aus der stellenweise gewiß überraschend schaukräftigen Inszenierung nur noch ein Hauptmerkmal hervor: Wieland Wagners Verdi-"Tristan" beschränkte sich auf die Psychologie der Protagonisten, auf Radames, Aida und Amneris. Um diese drei hochsensiblen Menschen herum inszenierte der Regisseur jedoch prähistorische Primitivität (zu hohen Masken- und Kostümpreisen). Da war ein Afrika zu sehen, in dem Totemismus und Fetischismus herrschen. Wenn Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in Bayreuth vom Germanischen ins Griechische umfrisiert würde, so konnte solche willkürliche Archaisierung immerhin auf Symbolkenntnisse bei den meisten Zuschauern rechnen. Um jedoch Wieland Wagners szenische "Aida"-Zeichen zu begreifen, müßten die Theaterbesucher erst in den völkerkundlichen Werken von Frobenius und Thurneisen nachschlagen. (https://www.zeit.de/1961/41/die-welt-zu-gast-in-berlin/komplettansicht)

Von Hans Heinz Stuckenschmidt ist in der FAZ zu lesen:

Nichts ist von Verdis und Ghislanzonis Schauplätzen übrig, kein Palast, kein Tor, keine Palmen am Nilufer. Dafür vollzieht sich im vierten Bild ein Massendefilee exotischer Kriegertänze. In kurzen Auftritten rasen sie vor, Priester mit mannshohen, barbarisch-bunten Fratzenmasken, Kopfjäger mit baumelnden Trophäen, Bogenschützen, riesige Totempfähle. Es ist ein Pandämonium der entfesselten Exotik, durchaus nicht nur afrikanisch betont, mit buntgemischten Motiven aus etruskischen, aztekischen, zentralafrikanischen und nahorientalischen Urgründen. […] Wieland Wagners Fort-vom-Museum ist [in] seinem Radikalismus großartig, gerät aber haarscharf an die Grenze eines schauseligen Hollywoodismus, von dem er sich doch distanzieren möchte.

Verschoben auch die Gewichte der Handlung. Es ist nur die Schuld der großartig singenden und agierenden Christa Ludwig, daß Amneris zur Hauptrolle wird. Aida ist schon durch ihre meist liegende oder hingekauerte Stellung, durch die grundsätzliche Einschränkung ihrer Gestik zu einer Passivität getrieben, die ihr [sic!] Liebe neben der Eifersucht der Amneris zum Affekt zweiter Ordnung macht. Daß neben den Hauptaffekten das übliche Tanz-Kunstgewerbe verschwindet, die Ballette durch ein kollektives Zucken der Körper ersetzt sind, entspricht dem Sinn solcher Entrümpelung. Nur im Gemach der Amneris wird ein Massenbauchtanz gezeigt, der an Gertrud Wagners Tannhäuser-Bacchanal erinnert. - (H.H. Stuckenschmidt, Zwischen Bel canto und Regiewillkür, FAZ vom 4.10.1961, S. 24)

Großes Lob erhalten Dirigent Karl Böhm sowie die Sängerinnen und Sänger des Abends – allen voran Gloria Davy als Aida, Christa Ludwig als Amneris, Jess Thomas als Radames und Walter Berry als Amonasro – jedoch nicht ohne skeptische Töne dazu, ob sich die wagnersche Produktion auch ohne die erstklassige Besetzung im Repertoirebetrieb würde halten können.

Besetzungszettel AIDA, 1961
 

 

Ausschnitt aus dem Duett von Amneris (Christa Ludwig) und Aida (Gloria Davy) → Live-Mitschnitt der Premiere am 29.9.1961
 

Es mag aus heutiger Sicht befremdlich wirken, welche Mittel Wagner „ägyptischem Kunstgewerbe und falscher Opernmonumentalität“ – wie der Regisseur es im Interview mit Dramaturg Horst Goerges ausdrückt – entgegensetzt. Was Wagner „nicht vom ägyptischen Museum“, sondern der „Gesamtstimmung“ entnommen wissen will, wirkt in vielfacher Hinsicht wie eine durchaus beliebige Auswahl aus den Beständen eines Museums für „Völkerkunde“ (wie auch Jacobi bemerkt).  

Zugespitzt formuliert: Dem „farbigen Duft“ des „afrikanischen Mysteriums“ (Wagner) haftet der Mief eines „imperialistischen Spektakels“ (Edward Said) an – ein Spektakel, in der die Darstellung und die Ausübung kolonialer Herrschaft untrennbar ineinander verschränkt sind. Wagner provoziert sein bürgerliches Publikum mit monumental vergrößerten und künstlerisch überschriebenen Symbolen, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern jedoch konsequent als ‚afrikanisch‘ gelesen werden. In der Frankfurter Rundschau ist die Rede von einem „Albtraum aus Afrika“, die Süddeutsche Zeitung nennt die Produktion Wielands L’AFRICAINE. Auf der Bühne verkörpert die Schwarze Sopranistin Gloria Davy, die 1958 als erste afroamerikanische Sängerin die Partie der Aida an der Met sang, für das Publikum zudem vermeintlich visuell authentisch gerade das „prä-dynastische“ (Wagner) und dunkle ‚Afrika‘, das Wagner imaginiert.

Amneris (Christa Ludwig) und Aida (Gloria Davy) © Ilse Buhs
 
Gloria Davy mit der Arie der Aida „O Vaterland“ → Live-Mitschnitt der Premiere am 29.9.1961
 

Wenn der Regisseur so etwa im zweiten Akt die äthiopischen Gefangenen Totems, Masken und Ritualobjekte als bildliche Repräsentation ihrer kolonialistischen und rassistischen Unterdrückung tragen lässt, reproduziert er eine solche Unterdrückung zugleich selbst durch seine unreflektierte kulturelle Aneignung.

Selbstverständlich darf Kunst all das, es stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, inwiefern Wagners Inszenierung uneingeschränkt überzeitliche Bedeutung eingeräumt werden kann.

Vor dem Zeithintergrund darf man nicht vergessen, dass 1961 in weiten Teilen das gleiche Publikum wie 20 Jahre zuvor im Saal sitzt – und dass die Rassismen der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht einfach fortgewischt sind. Gleichfalls steht auch Wieland Wagner als Regisseur wie künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele für eine Kontinuität in der Nachkriegszeit. Seine Vergangenheit im Fahrwasser des Nationalsozialismus hat zuletzt Anno Mungen in seinem heuer erschienenen Buch Hier gilt's der Kunst: Wieland Wagner 1941-1945 beleuchtet.

 

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