„Der ‚Holländer’: eine Action-Oper!“ - Deutsche Oper Berlin

Von Kai Luehrs-Kaiser

„Der ‚Holländer’: eine Action-Oper!“

Christian Spuck und Ingela Brimberg über den „Fliegenden Holländer“ und die Frage, ob Wagner tanzen kann

Christian Spuck gehört zu den wichtigsten deutschen Choreographen. Ausgebildet an der John-Cranko-Schule in Stuttgart wurde er 1995 als Tänzer ans dortige Ballett engagiert. Nachdem er ein Jahr später als Choreograph debütierte hatte, wurde er 2001 zum Haus-Choreographen des Stuttgarter Balletts ernannt. Seit 2012 leitet er das Ballett Zürich. Mit der Sopranistin Ingela Brimberg arbeitet Spuck zum ersten Mal zusammen. Die schwedische Sängerin studierte in Göteborg und sang viele Jahre an internationalen Bühnen, bevor sie 2013 an der Königlichen Oper von Stockholm debütierte. An der Deutschen Oper Berlin war sie bereits als Female Chorus in „The Rape of Lucretia“ zu erleben. Die Senta in Wagners „Fliegender Holländer“ ist eine ihrer „signature roles“.

 

Ingela Brimberg als Senta
Der fliegende Holländer © 2017, Thomas Jauk
 

Frau Brimberg, über die Senta in Wagners „Fliegendem Holländer“ gibt es ein berühmtes Wort von Birgit Nilsson: „Für mich zu schwer!“ Was ist so schwer an Senta?
Ingela Brimberg: Zunächst einmal, wenn Birgit Nilsson – mit anderen Worten: eine Göttin! – das sagt, muss es stimmen. Allerdings besaß Nilsson sehr viel Humor, einen starken Willen und keinerlei Angst vor Konflikten. Ich glaube, sie hielt die Rolle für zu klein für sich. Die Schwierigkeiten bei Senta, die enorm sind, liegen darin, dass sie nicht in zu großer Höhe anfängt, dann aber hochgeht wie eine Rakete. Auf die Länge der Partie gesehen, braucht man viel Kraft, die einem bei der Ballade aber im Wege ist. Es ist ein bisschen so wie bei „Tosca“: Lässt man sich zu sehr fallen, ist man verloren.

In vielen „Holländer“-Inszenierungen, Herr Spuck, steht Senta im Zentrum. Bei Ihnen auch?
Spuck: Ja und nein. Den Vorschlag, den „Holländer“ zu inszenieren, habe ich lange abgelehnt, weil ich das Werk nicht verstand. Ich brauche immer etwas, das mich persönlich anspricht. Oft ist das eine Randfigur. Beim „Holländer“ war es nicht Senta, die natürlich eine zentrale Figur ist. Sondern ihr Liebhaber Erik. Aus seiner Perspektive, nicht aus derjenigen von Senta, wollen wir das Stück erzählen.

Was ist so besonders an Erik?
Spuck: Schon die beiden Arien fallen musikalisch heraus, weil sie noch fast im Stil Lortzings komponiert sind. Erik ist der durchlässigste Charakter im Stück und muss mit ansehen, dass sich die Frau, die er verehrt, in einen Geist verliebt. Außer Erik warten alle Figuren auf die Erlösung, sogar der Steuermann. Daland will unermesslich reich werden. Alle haben narzisstische Lebensentwürfe. Für Senta bedeutet der Holländer das Ticket raus aus der popeligen Spinnstube.

Brimberg: In Senta mischen sich, wie ich finde, sehr geschickt unterschiedliche Frauenbilder des 19. Jahrhunderts. Da ist die Frau, die für einen Mann funktionieren will und sich umbringt, weil sie ihm nicht gerecht werden kann. Indem sie in den Tod springt, kündigt sie aber auch wieder ihr eigenes Funktionierenwollen auf. Sie springt tief, und will hoch hinaus.

Herr Spuck, Ihre Inszenierung von Berlioz’ „Damnation de Faust“ vor zwei Jahren an der Deutschen Oper war keineswegs Ihr Operndebüt. Das fand neun Jahre früher statt. Hatten Sie den Schritt zur Oper geplant?
Spuck: Nein. „Berenice“ von Johannes Maria Staud, das war 2005 in Heidelberg, traute ich mir zu, weil es ein kleines Haus war. Dann kamen weitere Angebote, auch von Opern, die mit Tanz sehr wenig zu tun haben, etwa „Falstaff“ in Wiesbaden. Diese Aufführung sah Donald Runnicles, der mich daraufhin eingeladen hat. Ich war sehr nervös. Zwar verpasse ich kaum eine Opern-Premiere, komme aber dennoch aus einer anderen Welt. Die Idee zum „Holländer“ entstand während des Premieren-Applauses der „Damnation de Faust“. Plötzlich beugte sich Runnicles zu mir herüber und zischelte: „Wir machen den ‚Holländer’, ja?!“ Ich war schockiert. Samuel Youn, der jetzt den Holländer singt, antwortete: „Um Gottes willen!“

Für Choreographen, die eine Wagner-Oper inszenieren, gibt es in Berlin nur einen einzigen Vorläufer, nämlich Sasha Waltz’ „Tannhäuser“ an der Staatsoper!?
Spuck: Mag sein, aber Sasha Waltz und ich blicken auf eine völlig unterschiedliche Geschichte zurück. Ich hab’ ihren „Tannhäuser“ nicht mal gesehen.

 

Ingela Brimberg als Senta, Thomas Blondelle als Erik
Der fliegende Holländer © 2017, Thomas Jauk
 

Arbeiten Sie, wenn Sie eine Oper inszenieren, als Choreograph – oder versuchen Sie den Choreographen hinter sich zu lassen?
Spuck: Ich gehe, egal, ob es sich um Ballett oder um eine Oper handelt, als dieselbe Person in den Probenprozess. Der Unterschied besteht nur darin, dass man als Choreograph das Libretto gleichsam selbst baut. Bei Opern kennen die Sänger es im Regelfall besser als ich selbst. In beiden Fällen lernt man voneinander. Ein Geben und Neben.

Brimberg: Ich kann bislang auch keinen wirklichen Unterschied erkennen – außer darin, dass ich von Christian Spuck viel präzisere, praktischere Auskünfte darüber erhalte, wie ich mit meinem Körper eine bestimmte Wirkung erziele. Er ist sehr klar in Bezug auf den körperlichen Ausdruck. Und da es für Sänger immer darum geht, Musik in persönlichen Ausdruck zu übersetzen, sowohl beim Singen wie beim Spielen, ist das von enormem Vorteil.

Gibt es eigentlich einen grundlegenden Unterschied zwischen „tänzerischen“ und „untänzerischen“ Komponisten?
Spuck: Grundsätzlich gilt: Ob man zu einer Musik tanzen kann, hängt nicht von der Musik, sondern von der Phantasie des Choreographen ab. Man kann alles tanzen, auch Lachenmann und Morton Feldman. Nur ist es nicht so, dass ich in den „Fliegenden Holländer“ so viel Tanz hereinnehmen möchte wie nur möglich. Der Holländer selbst, ein Geist und eine Chimäre, ist ein denkbar untänzerischer Charakter. Weil er unfassbar ist. Meistens wird er sehr heroisch dargestellt, das verstehe ich überhaupt nicht. Wenn er herabsteigt aus seiner Welt, bricht er erst einmal zusammen, kann kaum gehen. Er ist zu ausgelaugt, um tanzen zu können, und fängt auch immer ganz leise zu singen an. Uns hat sich die Frage eines tanzenden Holländers bislang nicht gestellt.

Frau Brimberg, möchten Sie als Senta gerne tanzen?
Brimberg: Ich muss realistisch bleiben und bin keine Tänzerin. Aber es gibt für uns Sänger immer ein Moment des Tanzes, weil wir Musik in Bewegung bringen. Dass Wagner ein großer Ballett- und Tanz-Komponist war, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Schon deswegen, weil seine Musik die Aktion trägt und in sich trägt. Der „Holländer“, in meinen Augen, ist eine „Action-Oper“!

Mit Marc Minkowski, der von der Alten Musik kommt, haben Sie die Senta bereits aufgenommen. Werden Sie unter Donald Runnicles, der in einer anderen Tradition steht, die Rolle anders singen?
Brimberg: Natürlich ist es mit jedem Dirigenten anders, es ist immer eine neue künstlerische Partnerschaft. Für mich ist es wichtig, dass ich mich vor dem Berliner Publikum, vor dessen Kenntnis ich großen Respekt habe, noch einmal ganz anders werde beweisen müssen. Man steht in einer anderen Wagner-Tradition, wenn man hier singt.

Im Berliner Konzerthaus haben Sie schon den Brünnhilden-Schluss aus der „Götterdämmerung“ gesungen. Wollen Sie den ganzen Wagner für sich erobern?
Brimberg: Ich bin nicht mehr 22 und achte sehr darauf, nur Rollen zu singen, die ich mir wirklich zutraue. Ich glaube, dass Elsa ohne weiteres möglich wäre. Und dass man heute stark darauf angewiesen ist, Angebote anzunehmen, so lange sie kommen. Ich schließe nichts aus.

Und Sie, Herr Spuck: Mehr Wagner?
Spuck: Für mich ist Oper eine Art Bonus zu meinem Hauptberuf. Dass ich jetzt sieben Wochen lang das Ballett in Zürich alleine lasse, stellt, so paradox es klingen mag, natürlich auch ein Geschenk für mich dar, wodurch ich Distanz finde und reicher zurückkommen werde. Gerade deswegen will ich, anders als im Ballett, keine Pläne machen. Oper darf alle zwei, drei Jahre für mich stattfinden. Immer als Überraschung.

Frau Brimberg, würden Sie sich und ihre Stimme in einer spezifisch skandinavischen Gesangstradition sehen?
Brimberg: Ja, das tue ich. Wir haben besondere Stimmen. Ich habe zum Beispiel viele Toscas in meinem Leben gesungen – aber nur in Skandinavien. Anderswo wünscht man sich rundere Stimmen für die Partie. Unsere Stimmen sind klar, bilden den Ton weit „vorne“, und sind nicht breit, aber sehr gut hörbar. Es wird wohl an unserer Sprache liegen, deren Konsonanten mit einer gewissen Mundfaulheit gebildet werden. Wir pressen viel Saft aus kleinen Zitronen. Und singen mit viel Ökonomie.
 

Ihre Stimme besitzt eine enorme Frische. Ist das ein Erbe Ihrer schwedischen Heimat?
Brimberg: Danke vielmals, das ist ein Kompliment! Sie könnten Recht haben, obwohl ich mich, wie fast alle schwedischen Sängerinnen, nicht nur an Birgit Nilsson orientiert habe. Ich bin ein Fan der aus Berlin stammenden Frida Leider. Und ich finde, eine bessere Elektra als die von Erna Schlüter hat es überhaupt nicht gegeben. Deutsche Sängerinnen.

Sie waren früher, wie man lesen kann, Mezzo-Sopran, worauf man vom Timbre her heute nicht mehr kommen würde. Wie ist das möglich?
Brimberg: Ich war ungefähr sieben Jahre lang ein Mezzo-Sopran. Und zwar ein unglücklicher! Es war ein ständiger Kampf, man hatte mich offenbar falsch eingeschätzt. Als ich endlich jemanden traf, der mir sagte, ich sei Sopran, habe ich die Rollen nicht mehr ‚von unten’, sondern ‚von oben’ her erarbeitet. Es wurde viel leichter. Vielleicht dachte ich früher, es sei irgendwie cooler Mezzo-Sopran zu sein. Die vielen starken Frauen, zum Beispiel Carmen... Das gefiel mir.

Sie singen heute kraftzehrende, auch riskante Rollen wie Lady Macbeth, Salome und Elektra. Lieben Sie so sehr die Gefahr?
Brimberg: Das stimmt. Ich finde es einfacher, mich mit voller Kraft in eine übergroße Aufgabe zu stürzen – und eine unsichere Sache für mich sicher zu machen. Natürlich gibt es für Sänger heute auch einen großen Zugzwang. Man tut es, weil man glaubt, es tun zu müssen. Andererseits kenne ich nichts, was mich so ‚anfacht’ und entflammt wie eine große Rollen-Herausforderung. Das gilt auch für Senta. Und für Wagner allgemein.

Herr Spuck, in einem Wort: Konnte Wagner tanzen?
Spuck: Ich würde mal sagen: Das musste er nicht.

Dieses Interview ist ersterschienen in der Beilage der Deutschen Oper Berlin zur Berliner Morgenpost, Mai 2017

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