Die Katze im Sack - Deutsche Oper Berlin

Die Katze im Sack

Der Kompositionswettbewerb „Neue Szenen III“ präsentiert drei Kurzopern zum Thema „Die Durchbohrung der Welt“.

Manuel Nawri
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Manuel Nawri
wurde 1974 in Überlingen geboren. Er studierte in Freiburg und Odessa, war Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie sowie Conducting Fellow beim Tanglewood Music Festival. Er gehört zu den gefragtesten Dirigenten seiner Generation für Zeitgenössische Musik und arbeitet mit den wichtigsten Spezialensembles, aber auch mit Sinfonieorchestern im In- und Ausland. Seit 2008 ist Manuel Nawri Gastprofessor an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, seit 2013 zudem künstlerischer Leiter der „Neuen Szenen“ an der Deutschen Oper Berlin.

 

Christiane Tewinkel schreibt für den Tagesspiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Musik. Sie ist Privatdozentin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und Lecturer in Musicology an der Barenboim-Said Akademie Berlin.

 

Dieses Interview ist ersterschienen in der Beilage der Deutschen Oper Berlin im Tagesspiegel, März bis Juli 2017.

Der Dirigent Manuel Nawri saß mit in der Jury, die aus 40 Bewerbern zu entscheiden hatte. Im Gespräch mit Christiane Tewinkel erklärt er, wie man gute Werke von nicht so guten unterscheidet.

Manuel Nawri, wie oft verirren sich Zuhörer und Zuhörerinnen aus den großen Häusern mit dem Kernrepertoire in die kleineren Säle mit Uraufführungen?
Programme sind oft entweder neu oder alt, und häufig ist auch ein Publikum neu oder alt, nicht an Lebensjahren, sondern an Aufgeschlossenheit für diese oder die andere Sorte Musik. Das ist schade. Schön ist jedoch, dass sich gerade in Opernhäusern die Situation schnell ändern kann: Zu Uraufführungen kommen dann nicht nur Neue-Musik-Interessierte, sondern eben auch solche Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich sagen, „wir haben jetzt immer nur TOSCA gehört, jetzt versuchen wir einmal etwas anderes“. Vielleicht bekommen sie einen anderen Blick auf das Repertoire, oder ihr Besuch wird zu einem Einstieg in die Neue Musik.

Was für Werke für Musiktheater haben es in dieser Hinsicht heute besonders leicht?
Ich persönlich mag es, wenn sie mir etwas erzählen. Das muss nicht unbedingt eine Geschichte sein, die sich auch für die anderen so darstellt. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren eine Oper von Liza Lim dirigiert habe. Das war für mich ganz toll, es war offen, sehr dicht, es gab einen großen Reichtum an Bildern, die mir etwas erzählt haben, ohne dass es eine Geschichte im konservativen Sinne gewesen wäre. So etwas funktioniert für mich wunderbar.

Ist es Ihrer Erfahrung nach eher die Musik oder das Libretto, die das Erzählen übernimmt?
Das ist ja das Tolle an Musiktheater, dass die Chance besteht, dass sich alles ergänzt. Dass man nicht alles in der Musik haben muss, nicht alles auf der Bühne. Und gerade wenn ein Stück für Musiktheater in enger Zusammenarbeit aller entsteht, kann das tatsächlich auch so werden. Und die drei KomponistInnen von „Neue Szenen III. – Die Durchbohrung der Welt“ haben das wirklich angenommen und sehr spannende, auch schöne und überraschende Werke abgegeben.

Es ist ein besonderes Charakteristikum dieses Wettbewerbs, dass zur Preisvergabe auch die Auflage gehörte, Libretto und neue Komposition in enger Abstimmung zu erarbeiten.
Natürlich gibt es das, dass ein Libretto fertig ist und dann kommt Musik drauf. Aber wir haben uns dagegen entschieden, und dadurch erschloss sich eben auch die Möglichkeit, etwas Besonderes für die Tischlerei zu schaffen, die von Anfang gar nicht „Opernbühne“ ist.

Sie hatten insgesamt drei Preise zu vergeben, an nicht weniger als vierzig Bewerberinnen und Bewerber. Wie ist die Jury vorgegangen?
Das war tatsächlich sehr schwierig, weil wir ja eigentlich ein musiktheatralisches Werk bei der Einsendung verlangt haben. Das hatten aber viele gar nicht. Der Wettbewerb richtete sich an junge Komponisten zwischen Studium und …

… Professur? …
[lacht] … ja. Und von denen hat halt nicht jeder schon für Musiktheater komponiert. Viele haben stattdessen ein Stück mit Stimme eingesandt, Kammermusik mit Stimme oder Sologesang eingereicht. Schon hier gibt es natürlich viele Unwägbarkeiten. Dann wieder sind eingereichte Kompositionen zum Teil schon ein paar Jahre alt, da hat man sich als Komponist unter Umständen schon sehr verändert. Wir haben also versucht, solche Personen auszuwählen, von denen wir erwarteten, dass sie uns eine interessante Oper schreiben würden. Wir haben versucht, nach verschiedenen Dimensionen zu schauen, nach Stimmbehandlung, musiktheatralen Momenten. Es ist klar, dass wir damit die Katze im Sack gekauft haben, dass man in einer solchen Situation nicht vorhersehen kann, was man bekommt.

Es ist also eher die Ausnahme als die Regel, dass junge Komponisten Bühnentheaterwerke schreiben, in einem so frühen Stadium ihrer Laufbahn.
Manche zeigen vielleicht ein besonderes Interesse. Aber es hängt wahnsinnig viel ab von Ressourcen. Die hat man eben nicht immer bei der Hand. Wir hatten natürlich viele Einsendungen, aber ich persönlich kenne auch viele junge Komponisten und Komponistinnen, die gesagt haben, ich habe mich nicht beworben, ich habe gar kein Musiktheater in der Schublade.

Welche Stücke haben der Jury weniger zugesagt?
Meistens solche, die ein wenig zu einfach waren. Simpel kann eine Qualität sein, aber die muss eine Komposition dann auch haben. Oder wenn es von der Beherrschung des Handwerks oder der Instrumente nicht angemessen war. Danach wurde es natürlich immer schwieriger – wir haben viel diskutiert. Wichtig ist zum Beispiel, für Stimme zu schreiben. Das ist nicht einfach. Es muss ja kein Operngesang sein, aber es sind natürlich trotzdem Stimmen, mit denen gearbeitet wird. Wir wollten den Eindruck haben, dass auch dort, wo man experimentell komponiert, angemessen mit der Stimme umgegangen wird. Wobei ich dazu sagen will, dass wir die genauen Stimmen sehr früh besetzt haben und die Komponisten ausdrücklich aufgefordert haben, mit diesen Sängern zu arbeiten.

Wie detailliert konnten Sie insgesamt sein in Ihren Bewertungsmaßstäben?
In so einem Auswahlprozess geht es natürlich auch darum, nicht alles im Vorhinein zu eng zu definieren. Es heißt schließlich nicht „Oper“ – wir machen „Musiktheater“. So ein Wettbewerb kann auch ein Experimentierfeld sein, auf dem man versucht, Dinge für sich zu formulieren, zu definieren: Was kann und will ich machen, wenn ich eine Bühne zur Verfügung habe und Darsteller und 30 Minuten Zeit? In dem einen der Werke kommt zum Beispiel viel unverständlicher Text vor. Das kann eine ganz starke musiktheatralische Konsequenz haben.

Sie hätten auch nur einen Preis vergeben können.
Nein. Es ist ein wichtiger Bestandteil des Konzepts dass es drei dreißigminütige Werke sind. Und: Dass es unterschiedliche Werke sind. Wir haben bei der Entscheidung für oder gegen bestimmte Komponisten und Komponistinnen immer versucht, mitzudenken, dass es eben nicht zwei oder drei einander sehr ähnliche Personen sein sollen, damit wir nicht einen Abend bekommen, der auf allzu erwartbare Weise in sich vollständig ist: Du malst die Beine, und ich den Bauch. Die drei Stücke sind unabhängige Kompositionen, werden aber – zu einem Abend zusammengefügt – durch ihre Unterschiedlichkeit einen Raum und Spannungsbogen schaffen.

 

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