Ein mythisches Spiel um »sehnender Liebe sehrende Noth« (2) - Deutsche Oper Berlin

Ein mythisches Spiel um »sehnender Liebe sehrende Noth« (2)

Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels für drei Tage und einen Vorabend von Richard Wagner
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Stefan Herheim
Mit Brandon Jovanovich, Andrew Harris, John Lundgren, Lise Davidsen, Annika Schlicht, Nina Stemme u. a.
Premiere am 27. September 2020

 

II. Macht und Nichts
 

Wotan, »ein kühner Gott«, will durch Gesetze und Verträge herrschen, doch bricht er diese mehrfach selbst und verstrickt sich damit immer tiefer in eine Fessel aus Frevel und Schuld, da sich Liebe und Macht nicht vereinen lassen. In RHEINGOLD versucht er, die Riesen um ihren Lohn für die Erbauung der Götterburg zu betrügen. Dieser Lohn, die Göttin Freia, ist auf Kosten der Göttergemeinschaft bedungen, denn Freias Äpfel garantieren ja erst deren ewiges Leben. Hinzu kommt erneutes Unrecht mit dem Raub von Alberichs Ring, den der Nibelung nach Abschwören der Liebe aus dem Rheingold hat schmieden können, um damit die Herrschaft der Welt zu erlangen. Auch in der WALKÜRE wird die Vertragsbrüchigkeit offenbar: Wotan ist mit Fricka die Ehe eingegangen – ein Vertrag, den er mehrfach und fortlaufend bricht. Durch seine Seitensprünge sind sowohl die neun Walküren – Brünnhilde mit Erda – als auch Siegmund und Sieglinde – mit einer Menschenfrau – entsprungen. Der die göttliche Ordnung eigentlich wahren müsste, verteidigt das ehebrecherisch inzestuöse Verhältnis des Wälsungen-Zwillingpaares sogar gegenüber seiner Frau, die die Blutschande anklagt: »Wann ward es erlebt / dass leiblich Geschwister sich liebten?« Wotan antwortet geradezu jovial unbeschwert: »Heut’ hast du’s erlebt!« und seine Gelassenheit wird von dem Winterstürme-Motiv in den Celli umstreichelt; er will diese Liebe um ihrer selbst willen lachend segnen lassen. Doch es geht im Streit mit Fricka nicht nur um das »frevelnde Zwillingspaar« und göttliche Ordnung, sondern um die Beziehung der anklagenden und sich rechtfertigenden Ehegatten.

Fricka hat sich gewünscht, mit »wonnigem Hausrat« ihren göttlichen Gatten ans Heim zu binden, doch dieser will seine Macht vergrößern und sich »von außen gewinnen die Welt«. Er bringt es bereits in der zweiten RHEINGOLD-Szene auf den Punkt: »Wandel und Wechsel liebt, wer lebt; das Spiel drum kann ich nicht sparen!« In der WALKÜRE erklärt Wotan im Streit mit Fricka direkt: »Unheilig acht’ ich den Eid, der Unliebende eint«, einstweilen seine Formulierung des Wechsels von der Göttergattin aufgenommen wird, wenn sie ihm vorwirft, »wie des Wechsels Lust du gewännest«. Wagner schlägt sich auf Seite des Gottes, denn er sieht nicht den Ehevertragsbruch von Wotan in der Auseinandersetzung mit Fricka als zu sühnende Eidverletzung. Im Brief an August Röckel schreibt er 1854 vom »unwillkürlichen Irrthume der Liebe, über den nothwendigen Wechsel hinaus sich zu verlängern [...] bis zur gegenseitigen Qual der Lieblosigkeit. Der Fortgang des ganzen Gedichtes zeigt demnach die Nothwendigkeit, den Wechsel, die Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die ewige Neuheit der Wirklichkeit und des Lebens anzuerkennen«. Das ist ästhetisch ein aufregendes Konzept: die Notwendigkeit, die sich stets erneuernde Vielfältigkeit der Realität und des Lebens zu akzeptieren. Das Streitgespräch der beiden Götter wird so vor einer wechselnden, mannigfaltigen, vielheitigen, ewig neuen Öffentlichkeit ausgetragen. Es geht darum, ein Spiel des Lebens über Regeln und Regelbruch zu kontrollieren; ein Spiel um Wirklichkeiten. Aber wer hat die Macht, dieses Spiel zu bestimmen?

Selbst Göttervater Wotan hat seine Macht auf Handlungsebene nicht rechtens erreicht: Wir erfahren im Vorspiel von GÖTTERDÄMMERUNG, dass Wotan einst einen Ast der Weltesche abgebrochen und sich daraus einen Speer als Herrschaftszeichen gefertigt hat, das als Garantiesymbol des Vertragsrechts für Ordnung sorgt, wie die zweite Norn erinnert:

Treu berath’ner
Verträge Runen
schnitt Wotan
in des Speeres Schaft:
den hielt er als Haft der Welt.

Wotan hat für diesen Ast einen hohen Preis entlohnt: »seiner Augen eines zahlt’ er als ewigen Zoll«, doch gleicht dieses leibliche Opfer keineswegs die gewaltsame Verletzung der Natur aus. Der Weisheit raunende Quell an der Wurzel versiegt traurig, die Weltesche verdorrt, wird gefällt und zu Scheiten um Walhall geschichtet. Schon diese Opfergabe, der ursprünglichste Tauschvertrag – Wotans Auge für der Weltesche Ast – ist gescheitert und niemals naturmythisch legitimiert. Die Gewalttat schlägt einen Riss zwischen neu gesetztem Recht und Naturrecht in alles Dasein; ein Sündenfall, der fortan vertuscht, vertraglich verdrängt, verschwiegen, verspielt werden soll und uns in bedrohlicher Aktualität ein Sinnbild unserer Welt bietet. Wenn der Göttervater den Streit mit Fricka verliert und offensichtlich seine argumentative Machtposition einbüßt, wird evident, dass er nie allmächtig die Kontrolle des Spiels innehatte – er resigniert:

Fahre denn hin, herrische Pracht,
göttlichen Prunkes prahlende Schmach!
Zusammenbreche, was ich gebaut!
Auf geb’ ich mein Werk; nur eines will ich noch:
das Ende,
das Ende!

Doch das Ende der Götterherrschaft, das Ende der Welt, das Ende des Spiels dämmert noch lange nicht… Ist also Wotans Fluchtversuch ins Ende vielmehr eine bewusste Wendung, um Brünnhilde als seinen Willen zu manipulieren? Was ist nun ein mythisches Spiel zwischen Anfang und Ende, zwischen Heimat und Flucht, zwischen Leben und Tod? Wer bewegt sich in ihm frei? Werden wir tatsächlich frei durch ein Spiel oder existiert dieses nicht vielmehr erst aufgrund von Regeln? Aber machen diese nicht unfrei, wie Wotan erkennt: »der durch Verträge ich Herr, den Verträgen bin ich nun Knecht«?

>> I. Flucht und Spiel  >> III. Bayreuth und Berlin

>>> Lesen Sie hier das vollständige Programmheft als PDF oder blättern Sie sich durch das Programmheft auf issuu.

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