„Ich möchte nur ein einziges Mal nicht komisch sein!“ - Deutsche Oper Berlin
Ein Gespräch mit Kai Luehrs-Kaiser
„Ich möchte nur ein einziges Mal nicht komisch sein!“
Irina Brook über Donizettis „Der Liebestrank“, über Lust und Last der Komödie und ihren berühmten Vater Peter Brook
Irina Brook hat Hühnchen bestellt. Die Essensausgabe der Deutschen Oper Berlin liefert prompt. Doch vom Interview lässt sich die Tochter des legendären Film- und Bühnenregisseurs Peter Brook trotz Hunger und Probenhektik nicht abbringen. Und trotz der Erwartungen, die auf ihrer Berliner Debüt-Inszenierung mit Donizettis „L’elisir d’amore“ lasten. Kai Luehrs-Kaiser sprach mit der Regisseurin.
Berliner Morgenpost: Frau Brook, Donizettis „L’elisir d’amore“ ist eine der wenigen echten Komödien des Musiktheaters – neben Verdis „Falstaff“ und einigen Rossini-Opern. Wo lernt man, komisch zu inszenieren?
Irina Brook: Ich brauche das nicht zu lernen. Ich kann gar nicht anders. Genauer gesagt: Mein Lebensziel besteht darin, einmal nicht komisch zu sein. Vielleicht liegt das an den britischen Wurzeln meiner Familie. Ich bringe immer den Clown zum Vorschein. Allerdings finde ich, dass man damit die interessante Seite des „Liebestranks“ gerade auslassen würde. Das Wichtigste ist nicht, dass es komisch ist. Sondern dass es wahrhaftig ist.
Wie wollen Sie es denn wahrhaftig machen?
In unserer Version ist Nemorino der Spaßmacher einer Theatertruppe. Zugleich deren Putzkraft. Wenn er sagt, er wolle sterben für Adina, werde ich der Versuchung widerstehen müssen, ihn sich mit Putzmitteln vergiften zu lassen. Was mir nicht leicht fällt! Wahrhaftigkeit, glaube ich, erreicht man, wenn man die Darsteller so einfach und unaufgesetzt agieren lässt wie möglich. So als wären es Filmschauspieler. Also: nicht zu große Bewegungen. „Der Liebestrank“ ist eine sehr einfach und direkt erzählte, romantische Komödie.
Was ist nicht komisch am „Liebestrank“?
Sehr wenig ist geradezu lachhaft im „Liebestrank“. Es ist nur leichtgewichtig. Eine romantische Komödie, so wie man dies aus zahllosen amerikanischen Film-Komödien kennt. Mit einem naiven Helden wie Gary Cooper oder dem jungen Cary Grant, der sich als guter Junge zum ersten Mal in einen Rock verguckt hat. Ein Stereotyp im guten Sinne. Durchaus liebenswürdig.
An welche Filme denken Sie noch beim „Liebestrank“?
An Hollywood-Komödien der 30er bis 50er-Jahre, zum Beispiel mit Mickey Rooney und der ganz jungen Judy Garland. In denen gibt es auch oft eine Theatertruppe. Dulcamara in unserer Aufführung gehört übrigens nicht zu dieser Truppe. Und als „Sidekick“ hat er ein kleines alter ego zur Seite. Wie ein Komiker-Paar in alten Music-Hall oder Vaudeville-Shows.
Die Vorgänger-Produktion an der Deutschen Oper war noch mit Luciano Pavarotti und Rolando Panerai besetzt. Gibt es heute überhaupt noch derart komische Talente in der Oper?
Ich komme vom Schauspiel her, muss aber sagen, dass ich in Sängern oft erstaunlich gute Komiker entdeckt habe. Ildebrando d’Arcangelo etwa tat zu Beginn der Proben zu „La Cenerentola“ sehr ernst. Dann entdeckte er eine andere Seite an sich. Und ich muss zugeben, dass ich kaum je einen komischeren Sänger als ihn gesehen habe. So witzig wie Buster Keaton. Man muss halt einen Schlüssel für diese Transformation finden.
Na dann: Wie macht man ernste Sänger witzig?
Ganz einfach: „Let them play!“ Sag ihnen nie: Sei lustig! Man muss das über die Spielfreude der Darsteller erreichen. Und ihnen vertrauen. Dann braucht man nur noch an den Kleinigkeiten zu arbeiten. Denn auf die Kleinigkeiten, auf die Art und Weise, wie das Sandwich mit Butter bestrichen wird, darauf kommt es an.
Die deutsche Regisseurin Andrea Breth sagt, sie inszeniere so selten Komödien, weil es so schrecklich viel Arbeit mache. Hat sie Recht?
Oh Gott, darüber möchte ich lieber gar nicht nachdenken. Schließlich muss ich gleich zurück zur Probe! Sie können daraus schließen, dass es stimmt. Die Kollegin hat Recht.
Sie wurden in Paris geboren. Sie sind aber trotzdem sehr britisch, oder?
Unbedingt. Es liegt daran, dass mein Dad sehr britisch und außerdem eine sehr lustige Person ist. Wir Briten versuchen, möglichst keine Emotionen zu zeigen, und verbergen sie lieber hinter Witzen. Sehr schnellen Witzen. Was oft zu Missverständnissen führt. Shakespeare in England zum Beispiel ist viel komischer als etwa in Frankreich. Die britische Einstellung ist: Wenn man etwas leicht nehmen kann, dann sollte man es auf jeden Fall auch tun.
Ihre Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ in Salzburg wurde von Kritikern als Komödie aufgefasst, ähnlich ihr dortiges Gastspiel mit Ibsens „Peer Gynt“. Haben Sie eine Neigung, Stücke vom Kopf auf die Füße zu stellen?
Eindeutig nein. Ich drehe nichts um. Mein Ziel ist nicht einmal eine Kontroverse. Das sehen höchstens Außenstehende so. Mir geht es um Treue zur Sache. Ich habe Shakespeares „Sturm“ sehr ernst genommen. Als Stück über Freiheit und Sklaverei. Nur gibt es trotzdem, wie stets bei Shakespeare, auch Elemente von Komödie und Poesie. Das ist übrigens der Grund, weshalb ich niemals eine griechische Tragödie inszenieren möchte. Dort fehlt diese Balance. Bei Tschechow dagegen, bei allem Ernst, bleibt es immer lustig.
Was würden Sie tun, wenn Ihr Dirigent Roberto Rizzi Brignoli eine vollständig andere Auffassung des Stückes hätte als Sie?
Eine schreckenerregende Vorstellung! Aber ich glaube nicht daran. Warten wir es ab!
Gibt es in Ihren Augen eine Besonderheit der deutschen Theater- oder Opernszene – im Unterschied zum Rest Europas?
Wenn wir in Paris, wo ich lebe, an deutsches Theater denken, so haben wir dabei Thomas Ostermeier von der Schaubühne im Sinn. Und das Berliner Ensemble. Schon bei letzterem aber denken wir schlicht und ergreifend an das Theater von Brecht. Und gehen stillschweigend davon aus, dass diese Tradition in Berlin noch immer lebendig ist. Ich freue mich darauf, diese Frage demnächst kundiger beantworten zu können.
Ihr Vater Peter Brook ist einer der weltweit wichtigsten Regisseure der letzten 50 Jahre. Wie geht es ihm?
Sehr gut! Er arbeitet unermüdlich. Sein neues Stück heißt „Valley of Astonishment“ und geht demnächst auf die Reise durch diverse Theater. Durch meinen Vater sind wir nach Paris gekommen, wo ich zum Teil aufgewachsen bin. Und wo auch meine Kinder zur Welt gekommen sind. London, Paris und New York war das Dreieck, in dem sich unsere Familie bewegte.
Was haben Sie vom Theaterregisseur Peter Brook gelernt?
Es würde arrogant klingen, wenn ich sagen würde: die Verbindung von Theater und Humanität. Denn man würde denken, ich hätte diese Verbindung wirklich verstanden. Dennoch ist es genau das, was mir mein Vater vor allem mitgegeben hat. Er hat früher auch Broadway-Shows inszeniert. Er hat sehr viel ästhetischer gedacht und provokative Aufführungen inszeniert. Die Broadway-Phase habe ich nicht mehr erlebt. Als ich dazu kam, war sein Interesse an interkulturellen Fragen, also am Dialog der Kulturen, schon sehr wichtig geworden.
Woher kam bei Ihrem Vater diese „humanitäre Wendung“?
Sie war schon immer da. Nur sind die oberflächlichen Krusten, die das verdeckt haben, im Lauf der Jahre immer mehr abgespült worden. Er ist einfach „wesentlicher“ geworden. Und reifer.
Aus: Beilage zur Berliner Morgenpost, April 2014