Inszenierung und Experiment - Deutsche Oper Berlin
Inszenierung und Experiment
Text von Barbara Beyer
Aus der Reihe „Recherchen“ liegt der Band "„Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität“ vor. Sämtliche Redebeiträge des Symposions sind dort dokumentiert.
Verlag Theater der Zeit. Broschur mit 430 Seiten, ISBN 978-3-943881-88-2
Das Repertoire der bedeutenden Werke ist eine Herausforderung, der sich das Medium Oper in seiner Realisierung als Aufführung, als Inszenierung immer neu stellen muss.
Unser Forschungsprojekt „Zwischen Hermeneutik und Performativität“ an der Kunstuniversität Graz diskutierte in der Theorie die Möglichkeiten, mit der Inszenierung von Werken des Opernrepertoires umzugehen, …und nahm auch Fragestellungen allgemeinerer Art in die Reflexion mit auf, die das Kunstschaffen in anderen Genres betreffen.
Die Erarbeitung der drei Inszenierungen der Oper COSÌ FAN TUTTE von Wolfgang Amadeus Mozart suchte nun auch in der praktischen künstlerischen Arbeit nach zukunftsweisenden Perspektiven. Erprobt wurde, welche Mittel und Wege da noch denkbar und nutzbar wären.
Das Projekt setzte bei grundlegenden Fragen an: Kann die Aufführung einer Repertoire-Oper mit den heute genutzten Mitteln noch Potential für Innovation und Überraschung bieten? Wie können Opern-Inszenierungen als eigenständiges „Kunstschaffen“ erlebbar gemacht werden? Welche neuen, ungewohnten Mittel könnten zum Einsatz kommen?
Die Suche nach neuen Wegen setzte bei dem Thema der Interpretation an. Das Lesen einer Partitur geht gemeinhin mit dem einher, was wir „Interpretation“ nennen. Für einen Dirigenten oder Sänger ist das Interpretieren des Notentextes ein unumgänglicher Vorgang. Üblicherweise wird auch die szenische Interpretation von der Absicht geleitet, eine Erkenntnis zutage zu fördern. Sie will uns sagen, was hinter dem Notentext steckt. Wenn wir interpretieren, decken wir eine Wahrheit auf.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde versucht, diesen Gestus zu vermeiden. Es sollte nicht mehr um bestimmte Wahrheiten gehen, auch nicht um Erkenntnisse, die in Form vorgefertigter Inszenierungskonzepte dem Zuschauer präsentiert werden.
Die drei voneinander sehr unterschiedlichen Inszenierungsansätze erprobten verschiedenste Mittel der Inszenierung: So wurde etwa das „Performative“ eingesetzt, als eine Dimension, die Unkontrolliertes zulässt, Erwartungen enttäuscht, auf Überraschung setzt und auf Irritation.
Erprobt wurde auch das Mittel der Übermalung, der Überblendung der Oberfläche des Werkes mit anderen, heutigen Konfliktfeldern und verschiedensten Assoziationen, die das Werk mit zunächst sehr fremd erscheinenden Themenbereichen konfrontiert. Auch die Weiterschreibung von Figurenkonstellationen und die Schichtung von parallelen medialen Ebenen (Szene, Musik, Film, Text…) zählen hierzu.
Die Gleichzeitigkeit von mehreren Aktionen ist ein bei allen drei Inszenierungs-Versuchen praktiziertes Prinzip. Der Fokus auf den einzelnen Erzählstrang ist aufgehoben.
Auch die Verbindung von Kunst und Nicht-Kunst, beispielsweise in der Konfrontation der gespielten COSÌ-Handlung mit realen Ereignissen, wurde versucht. Sie zwingt den Betrachter zu einer ständigen Auseinandersetzung mit der Frage, was und wie etwas gelesen, verstanden werden kann.
Schließlich hat sich eine der drei Arbeiten auch mit Formen der Ritualisierung und Stilisierung auseinander gesetzt und diese zum Prinzip in der Umsetzung des Mozart-Werkes erklärt.
Wir versuchten insgesamt auszuloten, inwieweit sich angesichts der Ergebnisse dieser Inszenierungs-Arbeiten neue Wege jenseits des Bekannten abzeichnen. Ziel war es, dem Publikum die Freiheit zu eröffnen, zum Akteur seiner eigenen Zustände, Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem Ereignis zu werden, statt es, wie sonst in der Oper zumeist, mit einer vorgeprägten Interpretation des Geschehens zu konfrontieren.