Johan Reuter … Mein Seelenort: Auf dem Fahrrad durch Kopenhagen

Bariton Johan Reuter findet auf seinen Fahrradtouren durch Kopenhagen Abstand zum Alltag – und entdeckt nebenbei seine Heimatstadt immer wieder neu

Zu meinem Seelenort gelange ich, wenn ich mit dem Fahrrad durch Kopenhagen fahre, momentan am liebsten über die Halbinsel Refshaleøen vor der Westküste der Stadt. Es ist allerdings nicht der Ort, es ist das Fahren und Umherschauen, das ich so liebe. Wenn ich auf mein Fahrrad steige, dann bin ich ganz im Moment, dann lenkt mich nichts ab, kein Blick aufs Handy und kein Gedanke an etwas Anderes als das, was mich umgibt. Seit vielen Jahren erkunde ich nun meine Heimatstadt auf dem Fahrrad – immer wieder aufs Neue. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, natürlich muss ich mir Kopenhagen längst nicht mehr erschließen. Mich interessiert vielmehr, wie sich die Stadt verändert.

Und daher komme ich so gerne nach Refshaleøen; denn hier konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie ein neues Viertel entsteht. Früher endete dieser Teil der Stadt vor dem großen Metalltor. Dahinter befanden sich eine Sperrzone der Marine und die daran angeschlossene Werft Burmeister & Wain mit ihren gigantischen Montagehallen und Docks – zeitweise einer der wichtigsten Arbeitgeber Kopenhagens. Nachdem die Werft Konkurs anmelden musste, wurde das Industriegebiet für die Bewohner der Stadt geöffnet und nach und nach saniert. Man kann sagen, dass ich diesen Prozess vom Fahrrad aus verfolgt habe, vor allem seit 2005 das neue Opernhaus in unmittelbarer Nähe eröffnete und ich auch beruflich oft in der Gegend war. Ich habe gesehen, wie neue Mieter in die alten Gebäude einzogen, wie sich die verfallenen Barracken mit neuem Leben füllten, wie Lagerhallen zu Künstlerateliers wurden, wie Unternehmen aus der Kreativbranche kamen, Start-ups, Handwerksbetriebe, am Ende sogar Yachtclubs.

Johan Reuter auf der Halbinsel Refshaleøen in Kopenhagen. In das ehemalige Werftgebäude im Hintergrund zogen nach und nach Ateliers und Studios © Emil Lyders
 

Um diese Veränderungen wahrzunehmen und über sie nachzudenken, ist das Fahrrad für mich das perfekte Fortbewegungsmittel. Meine Gedanken halten Schritt mit der Geschwindigkeit, in der die Gebäude vorüberziehen. Ich bin wohl auch deshalb so daran gewöhnt, weil ich keinen Führerschein habe. Auf meinem Fahrrad stelle ich mir vor, wie es weitergehen wird. Mir ist klar, dass die Ateliers auch hier irgendwann renditeträchtigeren Immobilienprojekten weichen müssen, es entstehen schon jetzt erste Apartmentkomplexe an einem Ende der Insel. Eine Stadt erzählt einem Geschichten von ihrer eigenen Entwicklung, wenn man genau genug hinschaut. Ich versuche mir oft vorzustellen, wie ein Gebäude früher einmal ausgesehen hat oder frage mich, warum eine Straße einen bestimmten Verlauf nimmt. Das ist mein Seelenort: Fahrradfahren, Umherschauen, Nachdenken. Ich kann verstehen, warum Menschen den immer gleichen Spaziergang machen, aber ich versuche, bei meinen Touren Routine zu vermeiden. Ich möchte etwas entdecken.

Meine Rollen, die Musik, die Oper, das alles ist weit weg, wenn ich auf dem Fahrrad sitze. Der Sinn des Fahrradfahrens besteht für mich darin, mit Körper und Geist aus meinem Alltag herauszutreten. Das funktioniert deshalb so gut, weil die Tätigkeit das richtige Maß an Konzentration erfordert. Man kann seinen Gedanken bis zu einem gewissen Grad nachgehen, aber wenn man zu sehr träumt, wird es gefährlich. Ich brauche daher ein Fahrrad, das möglichst wenig Aufmerksamkeit einfordert – keine Gänge, kein Schnickschnack, einfach nur treten.

Refshaleøen ist übrigens auch landschaftlich schön, es liegt am Øresund, der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden. Vom Ufer aus kann man bis in den Horizont blicken, hinter dem irgendwann Malmö beginnt. Ich allerdings halte nie an, um den Ausblick zu genießen.

An den Rändern der Stadt fühlt sich Johan Reuter am wohlsten. Von seinem Fahrrad aus beobachtet er, wie sie sich stetig verändert © Emil Lyders
 

Etwa 20 Fahrradminuten entfernt befindet sich das Konzerthaus des Dänischen Rundfunks, hier probe ich gerade die Rolle des Amfortas für eine konzertante Aufführung von Wagners PARSIFAL. Was für ein Unterschied zu meinem Auftritt als Hans Sachs an der Deutschen Oper Berlin in DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Verrückt, dass beide Opern aus der gleichen Feder stammen.

Sachs ist faszinierend, sein Blick auf die Welt differenziert. Von allen Figuren aus Wagners Kosmos ist er derjenige mit dem größten Vermögen zur Selbstreflexion. Als Meistersinger setzt er auf Regeltreue, ist stolz auf seine Könnerschaft. Und doch erkennt er das Potenzial des jungen Walther von Stolzing. Er weiß, dass er selbst die Kunst nicht reformieren kann. Ähnlich ist es in der Liebe: Natürlich liebt er Eva, aber anders als Beckmesser sieht er, dass er sie nicht haben kann. Darum handelt er strategisch, nutzt dabei auch seine Machtposition. Dieses permanente Abwägen muss man als Sänger glaubwürdig darstellen, darin liegt die eigentliche Schönheit und größte Herausforderung der Partie. Und es ist eine umfangreiche Rolle! Ich freue mich ganz besonders auf den Moment, an dem ich in Berlin auf die Bühne trete, ins Publikum schaue und mir denke: Wir werden heute eine Menge Zeit zusammen verbringen.

Johan Reuter © Emil Lyders
 

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DEZ

Advents-Verlosung: Das 2. Fensterchen

Im heutigen Adventskalender-Fensterchen verlosen wir 3 mal eine DVD von „Der Schatzgräber“ – eine Oper in einem Vorspiel, vier Akten und einem Nachspiel von Franz Schreker. Wenn Sie eine der drei DVDs gewinnen möchten, schreiben Sie bitte heute eine E-Mail mit dem Betreff „Das 2. Fensterchen“ an advent@deutscheoperberlin.de.

Schon die Uraufführung von Franz Schrekers DER SCHATZGRÄBER im Jahr 1920 in Frankfurt geriet zum Sensationserfolg, und es folgten allein in den nächsten fünf Jahren nicht weniger als 44 Inszenierungen an verschiedenen Häusern. Doch dann wurde es still um das beliebte Werk. Schrekers Opern schienen nicht mehr dem Zeitgeist zu entsprechen, mit dem Aufführungsverbot der Nationalsozialisten verschwanden die Partituren endgültig in den Schubladen. Und auch nach 1945 dauerte es lange, bis eine Schreker-Renaissance einsetzte. DER SCHATZGRÄBER jedoch hat es bis heute schwer.

Wie fast alle Libretti Schrekers stellt auch die Geschichte um Els und Elis die Frage nach dem Verhältnis von Fantasie und Realität, von Kunst und Leben: Seelenverwandt als einsame „Kinder von Traumkönigs Gnaden“ jagen Els und Elis unterschiedlichen Schätzen nach. Elis, der fahrende Sänger, spürt mit seiner Kunst in Gestalt einer magischen Laute Gold und Edelsteine auf, um die Menschheit zu beschenken. Die Kneipentochter Els hingegen, mutterlos aufgewachsen in einer brutalen Männerwelt, wird für ihr Ziel zur Lügnerin, Diebin und Mörderin: Sie schickt ihre Freier aus, um den Schmuck der Königin zu stehlen. Die ungeliebten Männer lässt sie sodann nach erfolgreicher Übergabe des Diebesguts skrupellos ermorden. Doch selbst der Besitz allen Goldgeschmeides stillt beider Verlangen nicht. Und so geht es auch in dieser Schreker-Oper einmal mehr um das Sehnen selbst, das der Komponist als den eigentlichen „Schatz“ bezeichnet: „einen Traum von Glück und Erlösung“. Elis und Els verlieren sich in diesen Träumen, Erinnerungen und Ahnungen, in Liedern, in Musik. Ihre Geschichten geraten zum Traumspiel in einer Welt voller Gier, Mord und emotionaler Haltlosigkeit. Für Franz Schreker konnte nur die Kunst selbst die Erlösung bieten. In den Kriegswirren ab 1914 komponiert, ist die Partitur des SCHATZGRÄBER so auch Schrekers persönliches künstlerisches Credo in prächtigen spätromantischen Farben.

Musikalische Leitung Marc Albrecht; Inszenierung Christof Loy; Bühne Johannes Leiacker; Kostüme Barbara Drosihn; Mit Tuomas Pursio, Doke Pauwels, Clemens Bieber, Michael Adams, Joel Allison, Michael Laurenz, Thomas Johannes Mayer, Seth Carico, Daniel Johansson, Gideon Poppe, Stephen Bronk, Elisabet Strid, Patrick Cook, Tyler Zimmerman u. a.; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin



Einsendeschluss: 2. Dezember 2023. Die Gewinner*innen werden am 4. Dezember 2023 per E-Mail informiert. Die DVDs gehen anschließend auf dem Postweg zu. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.