Aus Libretto #5 (2023)

Meechot Marrero: Mein Seelenort … Der Crispy Döner neben der Deutschen Oper Berlin

Als die puertoricanische Sopranistin Meechot Marrero vor sechs Jahren nach Berlin kam, war vieles erst einmal fremd. Doch ein Ort wuchs ihr besonders schnell ans Herz: die Dönerbude neben der Deutschen Oper Berlin

Mein Seelenort ist der Crispy Döner gegenüber der Deutschen Oper Berlin. Ich kenne den kleinen Laden seit meinem allerersten Tag in Berlin, genauer seit meiner ersten Nacht. Für mich ging damals alles so schnell: 2016 erhielt ich nach einem Vorsingen in New York ein Stipendium, das mich an die Deutsche Oper führen sollte. Ich hatte drei Tage Bedenkzeit, aber mir war sofort klar: Das muss ich machen! Ich bin in Puerto Rico geboren und aufgewachsen, und bevor ich für meinen Master nach New Haven in die USA ging, besaß ich noch nicht einmal einen Wintermantel, zuhause gab es keine Jahreszeiten. Und nun also Berlin, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen – was für ein Abenteuer!

Mein Flug landete am späten Abend, ich wusste nur, dass mein Apartment direkt gegenüber der Oper liegen würde und dass ich den Wohnungsschlüssel und eine Chip-Karte an der Pforte der Oper abholen sollte. Es kam, wie es kommen musste, der Pförtner sprach kein Englisch. Nachdem wir eine Weile ratlos versucht hatten, einander auf zwei Sprachen klarzumachen, dass wir uns nicht verstehen, zog ich ein Blatt Papier aus meiner Tasche und zeichnete darauf einen Schlüssel. Und siehe da, es funktionierte! Um zu meiner neuen Wohnung zu gelangen, musste ich mit meinem Gepäck tatsächlich nur einmal die Richard-Wagner-Straße überqueren – und kam zum ersten Mal am hell erleuchteten Crispy Döner auf dem Mittelstreifen vorbei. Ich dachte: Ok, egal wie kompliziert mein Start in der neuen Stadt, auf dem neuen Kontinent auch sein wird, egal wie oft ich mich mit Händen, Füßen und Zetteln verständigen muss, ich werde zumindest zu jeder Zeit etwas zu essen in meiner Nähe haben. Das hat mich auf merkwürdige Art beruhigt.

Köstlich! Marrero genießt einen Döner am Tresen ihres Lieblingsimbisses. Verkäufer Sevket Bayram kennt die Sängerin mittlerweile – und freut sich über einen kurzen Plausch © Max Zerrahn
 

In der kleinen Bude mit der Glasfront habe ich mir in Berlin zum allerersten Mal überhaupt etwas bestellt. Und war sofort begeistert. So begeistert, dass ich seit diesem ersten Tag einfach immer wieder herkam. Die Oper, meine Wohnung im dritten Stock des grünen Gebäudes gegenüber, der Crispy Döner genau dazwischen und ein Supermarkt um die Ecke, das wurde für die erste Zeit zu meinem Berlin – das war mein Radius. Mehr habe ich nicht gebraucht, mehr hätte ich auch nicht geschafft, denn ich durfte an der Oper sofort loslegen, stand richtig viel in Probenräumen und auf der Bühne. Ich war gerade mal Mitte zwanzig, kam frisch von der Uni und sang in großen Repertoirestücken wie CARMEN, DIE HOCHZEIT DES FIGARO oder HÄNSEL UND GRETEL. Es fühlte sich an, als hätte ich ein paar Stufen übersprungen. Die Deutsche Oper war einfach ein großes Glück für mich. Ich weiß, wie viele junge Kolleginnen sich wünschen würden, an einem solchen Haus zu singen, und ich bin immer noch dankbar dafür – seit mittlerweile sechs Jahren.

Wie oft hat mich mein kleiner Imbiss seit dieser intensiven Anfangszeit schon vor dem Verhungern bewahrt, nach der Vorstellung, spätabends, wenn die Restaurants in der Umgebung schon geschlossen sind und ich mir noch schnell etwas mit nach Hause nehme. Oder während einer hektischen Probe, wenn es schnell gehen muss, ich aber zumindest einmal kurz den Kopf frei bekommen und nach draußen gehen möchte. Die Lage ist einfach unschlagbar für jemanden, der einen Großteil seiner Zeit in dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite verbringt.

Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, das liegt wohl in meiner Natur. So habe ich nach und nach alle Verkäufer kennengelernt, die zu den verschiedenen Uhrzeiten im Crispy Döner arbeiteten. Natürlich wurden wir keine Freunde im engeren Sinn, schließlich beschränkte sich unser Kontakt auf die kurze Zeit, in der ich im Laden war. Aber die meisten wussten bald, dass ich nebenan in der Oper singe, und ich wusste, wie es ihren Frauen und Kindern geht und wie sie ihr Wochenende verbracht hatten. Es war von Anfang an so eine nette Atmosphäre, dass sich der kleine Kasten zwischen Oper und Apartment ein bisschen wie ein Zuhause anfühlte.

Vor zwei Jahren wollte ich nach einer Vorstellung der ZAUBERFLÖTE wiedermal noch eben etwas zu essen holen, da stand einer der Verkäufer in einem besonders schicken Hemd neben dem Dönerspieß. Ich weiß noch, wie ich ihn ein wenig aufziehen wollte und im Scherz meinte: »Na, hast du gleich noch ein Date?« Er grinste nur zurück und fragte: »Sag mal, wie alt bist du eigentlich?« »Dreißig«, antwortete ich etwas verdutzt. Er darauf mit noch breiterem Grinsen: »Nein, das bist du nicht, du bist achtzehn Jahr und zwei Minuten.«

Urbane Gemütlichkeit: Trotz der Lage auf einem Mittelstreifen umgeben von drei viel befahrenen Straßen sind die Holzbänke und Tische im Sommer oft voll belegt © Max Zerrahn
 

Ein Zitat aus der ZAUBERFLÖTE, so alt ist Papagena, meine Rolle. Ohne es mir vorher zu sagen, hatte sich ›mein‹ Dönerverkäufer Karten gekauft und war mit seiner Frau zum ersten Mal in seinem Leben in der Oper. Und ist danach direkt zu seiner Schicht in den Crispy Döner gegangen – im gebügelten Hemd. Das hat mich unglaublich gerührt.

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