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Meister der Oberfläche - Deutsche Oper Berlin

Aus Libretto #6 (2024/25)

Meister der Oberfläche

Begnadeter Erneuerer oder gewiefter Geschäftsmann? Richard Strauss war produktiv und vielseitig wie kaum jemand zuvor. Chefdramaturg Jörg Königsdorf über den ersten Komponisten der Moderne

Das dürfte sich Jacques Durand anders vorgestellt haben: Der französische Verleger hatte es tatsächlich geschafft, anlässlich eines Konzerts von Richard Strauss in Paris ein Kennenlern-Diner zu arrangieren, bei dem der deutsche Avantgarde-Komponist mit seinem französischen Pendant Claude Debussy zusammentreffen sollte. Doch statt einer geistreichen Konversation, bei der die beiden die inneren Beweggründe ihres Schaffens offenbart hätten, wurde das Gipfeltreffen zum Fiasko: Strauss, der an seinen Einkünften und Tantiemen zeitlebens ein starkes Interesse hatte, bestritt den Abend mit einem Monolog über das Musikgeschäft, Debussy verschlug es angesichts von Strauss’ Materialismus weitgehend die Sprache. Nach diesem Diner am 25. März 1906 kam es zu keinem weiteren Treffen der beiden: Strauss, so Matthew Boyden in seiner Biografie des Komponisten, fand Debussy nichtssagend, Debussy hingegen fand Strauss widerwärtig.

Tatsächlich kursieren über keinen Komponisten so viele Anekdoten wie über Richard Strauss. Und ein Großteil dieser Geschichten vermittelt eine ähnliche Botschaft: ein grenzenloses Erstaunen darüber, dass ein offensichtlich genialer Musiker ein ganz normaler, ja bisweilen sogar ziemlich ignoranter Mensch sein kann. Die Liste der Indizien ist lang. Sie reicht von Harmlosigkeiten wie der Tatsache, dass Strauss ausgiebig Skat spielte und dabei offenbar auch noch schummelte, bis zum gewichtigen Vorwurf, dass Strauss’ Umgang mit den Nationalsozialisten von einer weitgehenden Ausblendung der kulturellen Barbarei des »Dritten Reichs« geprägt war.

Von Belang ist das auch deshalb, weil dabei immer wieder Parallelen zwischen Strauss’ bürgerlicher Existenz und seiner Musik gezogen werden: Richard Strauss, das ist in den Augen vieler der kaltschnäuzige Effektkomponist, dessen Werke eine spektakuläre Fassade ohne geistige Botschaft sind – eine »Komponiermaschine« (Adorno), die Hochglanzprodukte ohne inneren Wert auswirft, oder, wie das vielleicht berühmteste Diktum sagt: ein erstklassiger Komponist zweitklassiger Musik.

Dabei wird übersehen, dass der 1864 geborene Strauss kein Komponist des 19. Jahrhunderts mehr war, sondern eher der erste Komponist des 20. Jahrhunderts: kein verspäteter Romantiker mit moralischem Bekenntnisanspruch, sondern ein Künstler, der eine wertfreie Sprache für die Komplexität der modernen Welt fand. Einer Welt, in der Bewusstes und Unbewusstes, Banales, Komisches und Heroisches als gleichwertige Eindrücke nebeneinanderstehen und sich zu einer Vielfältigkeit der Wahrnehmung verdichten. Das hohe Pathos Wagners sucht man bei Strauss vergebens. Undenkbar, dass sich am Ende einer Strauss-Oper ein neuer Weltenretter nach dem Muster von Wagners Parsifal präsentieren würde. In der breiten Palette ihrer psychischen Beweggründe steht eine Strauss-Figur wie Elektra oder die Färberin in der FRAU OHNE SCHATTEN viel näher bei Bergs Wozzeck als bei Wagners Brünnhilde. Nur, dass Strauss seine Opernfiguren zeitlebens im Rahmen der herkömmlichen Tonalität gestaltete und diese Mittel ihm offenbar ausreichten, seine Geschichten zu erzählen.

Dreißigjährig inszeniert sich Strauss als Dandy. Das Foto entstand 1894 in Weimar, nach der Uraufführung von GUNTRAM, seiner ersten Oper © Allstar Picture Library Ltd – Alamy Stock Photo
 

Tatsächlich macht es mehr Sinn, Richard Strauss als einen Künstler zu erleben, der bis ins hohe Alter auf der Höhe des Zeitgeistes und diesem oft sogar voraus war: So wie SALOME und ELEKTRA Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Opern überhaupt waren, in denen sich die Ideen Sigmund Freuds niederschlugen, lässt sich das 1924 entstandene INTERMEZZO als eine der ersten Zeitopern lesen, die Geschichten aus dem Hier und Jetzt erzählten – in INTERMEZZO übrigens mit einer guten Portion Selbstironie, die zeigt, dass Strauss sich darüber im Klaren war, dass seine Lebensführung nichts mit dem romantischen Künstlerideal zu tun hatte. Sogar der apollinische Klassizismus in späten Opern wie DAPHNE und CAPRICCIO lässt sich, wie kluge Inszenierungen längst gezeigt haben, durchaus als Zeitkommentar verstehen: Da kehrt ein Komponist, der das Leben in allen Facetten beschrieben hat, der Welt den Rücken und erschafft sich eine bessere. Weil vor Diktatur und Terror selbst seine Kunst versagt.

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