Mimi Ay ‘pfeif’ Blomagal - Deutsche Oper Berlin
Mimi Ay ‘pfeif’ Blomagal
50 Jugendliche aus aller Herren Länder entdecken mit der Jungen Deutschen Oper grenzenloses „Neuland“
Dieses Essay von Johannes Struck entstand für das Opernjournal April 2016 (Beilage zur Berliner Morgenpost)
„Der Zuschauer soll erleben, wie es ist, in ein fremdes Land zu kommen, in dem er die Sprache nicht versteht und ihm vieles der Kultur merkwürdig vorkommt“, sagt Dramaturg Curt A. Roesler, bevor er die Tür zur Probebühne B öffnet, „Mimi Ay ‘pfeif’ Blomagal – Willkommen in Neuland“. Um den großen Tisch in der Mitte versammelt, drehen sich 13 Jugendliche und Regisseur Jonas Egloff zur Tür und klatschen zur Begrüßung zweimal in die Hände. Auf dem Tisch liegt eine große Papierrolle ausgebreitet, bemalt mit archaisch anmutenden Zeichnungen. An der Wand zwischen Brettern und Seilen klebt eine weiteres Plakat: „Blogreza/ 1. Mumha ‘pfeif’ tschahar mimi malatschak...“

In ähnlicher Weise klingen auch die Gespräche der Jugendlichen untereinander – wobei „pfeif“ einen echten kurzen Pfiff beschreibt. Man diskutiert über das Plakat, auf dem die Verfassung von Neuland steht. Die Diskussion findet in der „Landessprache“ Blabla Blomagal statt. Dafür, dass diese Sprache noch taufrisch ist – immerhin haben die Jugendlichen erst im Januar mit dem Projekt angefangen – laufen die Gespräche schon recht flüssig.
Unterschwellig herrscht emsiges Gemurmel, doch der Eindruck täuscht: Die Jugendlichen sind voll konzentriert; wenn etwas nicht verstanden wird, erklärt man es sich untereinander, sei es in Englisch, Arabisch, Französisch, Deutsch oder Farsi. Denn die Gruppe des „Neuland“- Projekts der Deutschen Oper Berlin besteht aus Berlinern und Geflüchteten. Ein Berliner Junge sticht ein bisschen heraus, hin und wieder erklärt er seinen Kollegen ganze Sachzusammenhänge in fließendem Arabisch: Sören ist in Jordanien aufgewachsen.
Im Hintergrund ragt eine selbstgemalte Fahne aus einem Einkaufswagen. Sie erinnert ein wenig an die Flaggen von Japan oder Südkorea,. Farben und Symbole beziehen sich auf einen sehr komplexen Entstehungsmythos, eben jenen, den die Jugendlichen auf jener Papierrolle erarbeitet haben.
Die Gruppe hat zusammen Nationalgerichte kreiert, deren Zutatenliste verwegen anmutet. Stolz zeigt Lara in der Pause ihr Kochbuch: Gurkenscheiben werden zusammen mit in Cola gegarten Zwiebeln und mit Chili gewürzt unter einer Moussehaube aus Schokoküssen serviert, was besser schmecken soll als es befürchten lässt.
Jetzt geht es um die Zeitrechnung in Blomagal, zum Beispiel die Namen der Wochentage. Der vierte Tag soll was mit wachsen zu tun haben. Die Gruppe einigt sich auf Blumentag, aber es gibt noch kein Wort für Blume auf Blabla Blomagal. Der Vorschlag „schnüffeln“ findet schlussendlich den größten Anklang in der Gruppe. Mohammed bildet pantomimisch mit seiner Hand eine Blüte nach, deren Duft er einatmet.
Zur Einführung in die Feiertage lässt der Regisseur die Jugendlichen von ihren Heimattraditionen berichten. Ahmad erzählt vom Fastenbrechen in Syrien: „Unsere Familien besuchen sich gegenseitig in diesen drei Tagen und wir feiern zusammen. Für die Kinder gibt es Geld als Geschenk.“ Mousa berichtet über eine Variante aus seiner Heimat Ghana: „Es gibt eine Parade, die vom König auf einem Pferd angeführt wird, und ein Unterhaltungsprogramm. Alle haben Spaß.“ Juliette, die aus Belgien stammt, berichtet von ihrem Ostern. „Die Eier bringt in Belgien das Huhn, nicht der Osterhase, ist auch ein bisschen logischer, oder?“ Zwei Gruppen werden eingeteilt. Sie sollen überlegen, wie ein Feiertag zu Frühlingsbeginn aussehen könnte. Anschließend legen sie Zeichnungen auf den Boden und diskutieren darüber, Eklektizismus vom Feinsten.
Ein wenig dauert es noch bis zur Premiere von „Neuland“. Jonas Egloff und Curt A. Roesler haben bereits konkrete Vorstellungen, auch wenn das Projekt noch im Entstehen ist. „Neuland“ besteht aus zwei Teilen. Der erste zeigt die Bewohner von Blomagal in ihrem Alltag. Der zweite Teil lässt die Jugendlichen auf der Bühne ihr Neuland feiern. Der Rap im Song „Tschessa Tschessa“ ist natürlich auf Blabla Blomagal – keine Chance, etwas zu verstehen. Trotzdem ist die Musik so eingängig und frisch, dass man sie gut auf der nächsten Party spielen könnte.
Curt A. Roesler und Jonas Egloff freuen sich über den Verlauf des Projekts mit den insgesamt fünfzig Jugendlichen. Die Frage, ob neben der Herkunft auch die Geschichte der Geflüchteten eine Rolle spiele, verneint der Dramaturg: „Neuland bedeutet für alle, etwas gemeinsam zu gestalten, und es gibt keine Grenzen.“ Neuland bedeutet auch: Nochmal ganz neu anfangen.