Was mich bewegt

Wann ist es endlich vorbei?

Wochen bewegt sich nichts, dann muss alles schnell gehen. In der Pandemie prallen unterschiedlichste Geschwindigkeiten aufeinander, erfährt auch Intendant Dietmar Schwarz. Aber im Hintergrund schmerzt ein anderes Thema

Ich habe mein Leben lang an der Oper gearbeitet. Natürlich nicht immer als Intendant und nicht immer an einem so riesigen Haus – aber auch als Dramaturg und in kleineren Häusern hat mich eines stets begleitet: Die Langfristigkeit als Alltagsdiktat der Oper. Wir planen oft fünf Jahre im Voraus, die ersten Gespräche für den RING fanden zu Beginn meiner Intendanz vor neun Jahren statt. Seit einem Jahr ist das anders: Wir sind wir gezwungen, kurzfristig zu planen. Das ist für so einen Riesenapparat natürlich eine Challenge, Sängerinnen und Sänger aus der ganzen Welt sind ewig gebucht, Regie-Stars, Dirigentinnen und Dirigenten. Es ist, als müsste ein Frachter plötzlich manövrieren wie eine schlanke Jolle. Ich habe die Langfristigkeit der Oper oft bedauert, weil man dadurch nicht – wie etwa im Schauspiel – aktuell reagieren kann. Und ausgerechnet jetzt, in dieser Krise, haben wir plötzlich die Möglichkeit, uns auf diese ganz andere Geschwindigkeit einzulassen. Wir können an Produktionen arbeiten, die wir mit einem langen Vorlauf gar nicht hätten zeigen können, weil wir die Beteiligten erst vor kurzer Zeit für uns entdeckt haben. Das wirkt wie ein Gegengift zur Pandemie.

Den emotionalsten Moment dieser Zeit hatte ich, als ich nach dem ersten Lockdown die ersten Töne im RHEINGOLD auf dem Parkdeck gehört habe. Wir alle haben geweint. Vielleicht erfüllt es mich deshalb so mit Freude, dass wir bald wieder auf dem Parkdeck spielen können. Eine unserer Entdeckungen ist ein junges Frauenteam aus dem Schauspiel um die Regisseurin Pınar Karabulut. Sie inszeniert sehr kurzfristig die Kammeroper GREEK aus den Achtzigerjahren, geschrieben von dem englischen Komponisten Mark-Anthony Turnage. Mich begeistert dieses junge Team, das mit einem Blick von außen kommt. Und zudem öffnen wir uns mit dem Stoff in Richtung Kammermusiktheater. Klein besetzt, ohne großes Orchester, das wird in Zukunft an manchen Häusern sicher relevanter. Im Gegensatz zu solchen kurzfristigen Produktionen proben wir den RING, ein Mammutwerk. Noch hoffen wir, SIEGFRIED im Mai vor Publikum zeigen zu können. Wenn das nicht klappt, dann eben im November im Zyklus. Ich bin schon stolz, dass wir eines der wenigen Häuser in der Welt sind, die mitten in der Pandemie so große Oper machen.

Doch hinter diesen Erfolgen sitzt ein größerer Schmerz: Die quälende Erkenntnis, dass nach dem ersten Lockdown nicht alles vorbei war. Dass es immer weiter und weiter ging. Diese Einsicht sickert nur sehr langsam in mein Bewusstsein. Seit dem 13. März 2020 spielen wir nicht mehr regulär. Die gesamte Spielzeit 20/21 und die Hälfte der Saison 19/20 waren nur sehr eingeschränkt realisierbar. Es gab Menschen, die mir das damals, im März 2020, prophezeit haben – aber die habe ich nicht ernst genommen. Vielleicht wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Ich dachte, wir verbarrikadieren uns, proben nicht, halten uns brav an die Kontaktbeschränkungen – bis das Virus weg ist. Aber es ging nicht weg.

Seit einem Jahr loten wir jetzt die Grenzen aus. Wie, wo, wann und was können wir proben? Welche Stücke können wir bearbeiten? Wie können wir digital in Verbindung bleiben? Und wann dürfen wir endlich wieder auf die Bühne? Wir nutzen jede Lücke. Um die Stimmung an Bord über einen so langen Zeitraum zu halten, versuche ich, für alle Kolleginnen und Kollegen Projekte bereitzuhalten, an denen wir proben, so wie gerade an Wagners SIEGFRIED. Es ist wirklich wichtig, dass wir gemeinsam in der Oper etwas tun, dass wir nicht allein zuhause sitzen. Ich muss meine Mannschaft immer wieder überzeugen: Was ihr jetzt im Verborgenen investiert, zahlt sich irgendwann auf der Bühne aus.

In DAS RHEINGOLD auf dem Parkdeck waren nach dem ersten Lockdown die ersten Operntöne zu hören. »Da haben wir alle geweint«, sagt Dietmar Schwarz © Bernd Uhlig

Eins ist mir noch nie so klar gewesen wie nach all dem Streaming, den Videos, den digitalen Experimenten: Die Emotionalität, die wir mit Musik und Gesang auslösen, braucht Resonanz. Wenn eine Sängerin vor 2000 Zuschauerinnen und Zuschauern steht, schießt ihr ein Hormoncocktail durch den Körper. Dieses Lampenfieber lässt sich nicht künstlich herstellen. Das Adrenalin der Bühne fehlt, diese Energie lässt sich ohne Publikum nicht herstellen. Sie, liebe Zuschauer, fehlen uns so sehr.

Auf dem Titelbild: Ein Opernhaus ist wie ein Frachtschiff auf hoher See: Die Route ist längst abgesteckt - und kurzfristige Kursänderungen sind äußerst schwierig © Adobe Stock

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